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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Christian Kracht
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einen Wink Ottos in Richtung des malayischen Stewards, ganz entgegen Engelhardts sonstigen täglichen Eßgewohnheiten, ein Teller dampfender Nudeln und ein Schweinekotelett samt üppiger brauner Bratensoße serviert. Engelhardt sah mit unverhohlenem Ekel auf das Stück Fleisch, das dort vor ihm im Nudelbett lag und an den Rändern blau irisierte.
    Otto, der im Grunde ein gutmütiger Mensch war, dachte, sein Gegenüber sei wohl eingeschüchtert, da er, als Passagier der zweiten Klasse, nicht wisse, wie er die für ihn doch extravagante Mittagsmahlzeit bezahlen solle, und er forderte ihn auf, sich von dem Schweinskotelett zu nehmen, doch, doch, bitte sehr, auf seine Einladung, worauf Engelhardt höflich, aber mit der Bestimmtheit seines (und Schopenhauers, und Emersons) Gewissens antwortete, nein, danke, er sei bekennender Vegetarier im allgemeinen und Fruktivore im besonderen, und ob er vielleicht um einen grünen Salat bitten dürfe, nicht angemacht, ohne Pfeffer und Salz.
    Der Vogelhändler hielt inne, legte Besteck, welches er schon über seinen Teller gehalten, wieder links und rechts davon ab, gluckste, betupfte sich mit der Serviette Oberlippe und Schnauzbart und brach dann in ein bellendes, meckerndes, ja prustendes Gelächter aus. Tränen quollen ihm aus den Augen, erst segelte die Serviette zu Boden, dann zerbarst ein Teller, und derweil Otto die Worte Salat und Fruktivore immer und immer wiederholte, lief er lilarot an, als drohe er zu ersticken. Während man vom Nebentische aufsprang, um ihn mittels ausholender Schläge auf den Rücken von dem vermeintlich in seiner Trachea logierenden Knochenstückchen zu befreien, saß August Engelhardt ihm gegenüber, zu Boden schauend, manisch geschwind mit der über den linken Knöchel verschränkten Sandale wippend. Ein chinesischer Koch eilte aus der Kombüse herbei, den tropfenden Rührbesen noch in der Hand.
    Es bildeten sich zwei Parteien, die aufs Heftigste zu streiten begannen, einige Sätze vernahm Engelhardt deutlich aus dem Tumult, es ging um sein, Engelhardts, Recht darauf, den Verzehr von Fleisch abzulehnen, ferner sprach man von den Wilden, wenn man sie denn, so einer der Plantagenbesitzer, überhaupt noch als das bezeichnen dürfe. Oder sei es jetzt schon so weit gekommen, daß ein Deutscher im Schutzgebiet nicht mehr einen Kanaken von einem Rheinländer unterscheiden dürfe? Aber man solle doch froh sein, so die Gegenpartei, pflanzliche Produkte auf dem Speiseplan stehen zu haben, wo man doch in großen Teilen unseres fröhlichen Inselreichs längst wieder zur Anthropophagie übergegangen sei, nachdem man es den Wilden durch drakonische Strafen mühsam aberzogen habe. Ach, Unsinn! Alter Hut! kam der Gegenruf. Doch, doch, gerade vor vier Monaten habe man einen Pater aufgegessen, drüben, bei den Steyler Missionsschwestern in Tumleo. Diejenigen Körperteile des Gottesmannes, welche nicht sofort verzehrt wurden, habe man gepökelt, die Küste hinaufgeschifft und in Niederländisch-Ostindien verkauft.
    Engelhardts Schamgefühl drohte ihn zu übermannen, er wurde bleich, dann rot und machte Anstalten aufzustehen, um diesen despektierlichen Salon zu verlassen. Er glättete die Serviette vor sich auf dem Tisch und bedankte sich bei Hartmut Otto leise, fast unhörbar, ohne eine Spur von Ironie. Von einem Plantagenbesitzer, der ihn am Gehen hindern wollte, grob am dünnen Oberarm gefaßt, entwand er sich diesem aber doch mit einer schroffen Bewegung seiner Schultern, durchmaß mit wenigen Schritten den Raum und öffnete die Tür des Salons, die geradewegs an Deck führte. Dort hielt er inne, erregt, und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirne. Und während er die feuchte Tropenluft ein- und wieder ausatmete, darüber nachdenkend, ob er sich nicht vielleicht doch an der Wand des Promenadendecks festhalten solle, dann aber diesen Gedanken sofort als verweichlicht verwerfend, bemächtigte sich seiner endlich eine tiefe, tiefe Einsamkeit, weit unergründlicher, als er sie jemals im heimischen Frankenland verspürt hatte. Er war hier unter schrecklichen Menschen gelandet, unter lieblosen, rohen Barbaren.
    Er schlief schlecht in dieser Nacht. In weiter Ferne zog ein Gewitter an der Prinz Waldemar vorbei, und das erratisch zuckende, einem ungeordneten Rhythmus folgende Wetterleuchten tauchte den Dampfer immer wieder in ein gespenstisches, fahles Schneeweiß. Während er sich in den klammen Laken hin und her warf, in halbwachen Schrecksekunden über sich an der
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