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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Christian Kracht
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Herbertshöhe Kokopo, was durchaus besser klang und sich vor allem schöner sagte.
    Die Deutschen Schutzgebiete im Stillen Ozean, hierin stimmten die Experten überein, waren, im Gegensatz zu den afrikanischen Besitzungen seiner Majestät Kaiser Wilhelms des Zweiten, allesamt vollkommen überflüssig. Der Ertrag der Kopra, des Guanos und des Perlmutts reichte bei weitem nicht aus, ein derart großes, in der Unendlichkeit des Stillen Ozeans versprenkeltes Reich zu unterhalten. Im fernen Berlin aber sprach man von den Inseln wie von kostbaren, leuchtenden Perlen, zu einer Kette aufgereiht. Fürsprecher und Gegner der pazifischen Kolonien fanden sich zuhauf, meist waren es jedoch die noch jungen Sozialdemokraten, welche die Frage nach der Relevanz der Südseebesitzungen am lautesten stellten.
    Nun, in diese Zeit fällt diese Chronik, und will man sie erzählen, so muß auch die Zukunft im Auge behalten werden, denn dieser Bericht spielt ganz am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, welches ja bis zur knappen Hälfte seiner Laufzeit so aussah, als würde es das Jahrhundert der Deutschen werden, das Jahrhundert, in dem Deutschland seinen rechtmäßigen Ehren- und Vorsitzplatz an der Weltentischrunde einnehmen würde, und es wiederum aus der Warte des nur wenige Menschenjahre alten, neuen Jahrhunderts durchaus auch so erschien. So wird nun stellvertretend die Geschichte nur eines Deutschen erzählt werden, eines Romantikers, der wie so viele dieser Spezies verhinderter Künstler war, und wenn dabei manchmal Parallelen zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier ins Bewußtsein dringen, der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre, so ist dies durchaus beabsichtigt und sinnigerweise, Verzeihung, in nuce auch kohärent. Nur ist letzterer im Augenblick noch ein pickliger, verschrobener Bub, der sich zahllose väterliche Watschen einfängt. Aber wartet nur: er wächst, er wächst.
    An Bord der Prinz Waldemar befand sich also der junge August Engelhardt aus Nürnberg, Bartträger, Vegetarier, Nudist. Er hatte vor einiger Zeit in Deutschland ein Buch mit dem schwärmerischen Titel Eine sorgenfreie Zukunft veröffentlicht, nun reiste er nach Neupommern, um Land zu kaufen für eine Kokosplantage, wieviel genau, und wo, das wußte er noch nicht. Er würde Pflanzer werden, doch nicht aus Profitgier, sondern aus zutiefst empfundenem Glauben, er könne Kraft seiner großen Idee die Welt, die ihm feindlich, dumm und grausam dünkte, für immer verändern.
    Engelhardt war, nachdem er durch einen Eliminierungsprozeß alle anderen Nahrungsmittel für unrein befunden hatte, unvermittelt auf die Frucht der Kokospalme gestoßen. Es gab gar keine andere Möglichkeit; cocos nucifera war, so hatte Engelhardt für sich erkannt, die sprichwörtliche Krone der Schöpfung, sie war die Frucht des Weltenbaumes Yggdrasil. Sie wuchs an höchster Stelle der Palme, der Sonne und dem lichten Herrgott zugewandt; sie schenkte uns Wasser, Milch, Kokosfett und nahrhaftes Fruchtfleisch; sie lieferte, einzigartig in der Natur, dem Menschen das Element Selen; aus ihren Fasern wob man Matten, Dächer und Seile, aus ihrem Stamm baute man Möbel und ganze Häuser; aus ihrem Kern produzierte man Öl, um die Dunkelheit zu vertreiben und die Haut zu salben; selbst die ausgehöhlte, leere Nußschale lieferte noch ein ausgezeichnetes Gefäß, aus dem man Schalen, Löffel, Krüge, ja sogar Knöpfe herstellen konnte; die Verbrennung der leeren Schale schließlich war nicht nur jener herkömmlichen Brennholzes bei weitem überlegen, sondern auch ein ausgezeichnetes Mittel, um kraft ihres Rauches Mücken und Fliegen fernzuhalten, kurz, die Kokosnuß war vollkommen. Wer sich ausschließlich von ihr ernährte, würde gottgleich, würde unsterblich werden. August Engelhardts sehnlichster Wunsch, ja seine Bestimmung war es, eine Kolonie der Kokovoren zu erschaffen, als Prophet sah er sich und als Missionar zugleich. Aus diesem Grunde fuhr er in die Südsee, die schon unendlich viele Träumer gelockt hatte mit dem Sirenenruf des Paradieses.
    Die Prinz Waldemar hielt unter qualmendem Schornstein schnurgerade ihren Kurs auf Herbertshöhe. Und während zweimal täglich große Kübel mit Essensresten vom Achterdeck in die See gekippt wurden, zog weit im Süden die dunkle Küste Kaiser-Wilhelmslands vorbei, das Finisterre-Gebirge, wie es raunend auf Engelhardts Karte hieß, und die unerforschten, gefahrenvollen Länder, die dahinter lagen, noch nie von
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