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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis
Autoren: Raymond Khoury
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– erwarten konnte. Aber seit sie die Knoten entdeckt hatte, spürte sie morgens beim Aufwachen Müdigkeit in den Knochen, Kurzatmigkeit und eine Schwere im Kopf, die in besorgniserregenden Wellen über sie kam. Sie wusste, dass das Blut, das in der vergangenen Woche beim Husten auf ihren Lippen lag, ein schlechtes Vorzeichen war.
    Sie hatte nicht mehr viel Zeit.
    Wie mochte es Sebastian ergehen? Sie stellte sich vor, dass er das Destillat wieder trank, und sie lächelte innerlich bei dem Gedanken, dass er sich kaum verändert hatte, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Sie sah ihr faltiges Gesicht im Glas der Fensterscheibe und wünschte ihm den Erfolg. Was für ein wunderbares Geschenk das wäre. Eine unvergleichlich verdienstvolle Suche … selbst wenn sie sie die Liebe ihres Lebens und Michael den Vater gekostet hatte.
    Thérésia sah ihren Sohn durch das Tor treten und auf das Haus zukommen. Er war zu einem ansehnlichen jungen Mann herangewachsen und hatte während der Unruhen Bewundernswertes geleistet. An der Seite seiner Mutter hatte er als Verbindungsmann für die französischen Gesandten gearbeitet, die den revolutionären Aufstand gegen die Briten unterstützten. Seine diplomatischen und organisatorischen Talente lagen auf der Hand, und sie hatte eine große Zukunft für ihn vorausgesehen. Aber von Tag zu Tag erinnerte er sie auch mehr an Sebastian. Sie sah die Ähnlichkeit in seinem Blick, in seiner Erscheinung, ja, selbst in Kleinigkeiten wie seiner Art, den Federkiel zu halten. Und als der Junge zum Mann heranwuchs, begriff sie, dass sie seine einzigartige Herkunft nicht ignorieren konnte.
    Ebenso wenig wie das Vermächtnis seines Vaters.
    Sie hatte Sebastian versprochen, dem Jungen niemals zu erzählen, was seinen Vater bewogen hatte, sie zu verlassen. Sebastian hatte ihr dieses Versprechen abgenommen, und damals hatte es ihr eingeleuchtet. Er wollte, dass sein Sohn ein normales Leben führte. Er wollte nicht, dass ein Schwur, den er selbst abgelegt hatte, auch den Jungen plagte. Es war seine Bürde, nicht die seines Sohnes.
    Aber dieses Versprechen konnte sie nicht länger halten. Sie war es Sebastian schuldig. Seinem Andenken und seinem Vermächtnis. Wenn er fern von ihr sterben sollte, in einem fremden Land, musste sie sicherstellen, dass sein Tod nicht vergebens war.
    Tief im Herzen wusste sie, dass auch er es nicht anders gewollt hätte.
    «Mutter?»
    Sie hörte, wie Michael die Stiefel auszog und zu ihr ins Wohnzimmer kam. Sie drehte sich zu ihm um, und die Schmerzen in ihren Gliedern schwanden bein Anblick seines strahlenden Gesichts. Sie sah seinen fragenden Blick, als er das alte, in Leder gebundene Buch mit dem seltsamen kreisförmigen Symbol erblickte, das sie an ihre Brust drückte.
    «Ich habe dir etwas zu sagen.» Sie winkte ihn zu sich.

75
    Mia regte sich in dem schmalen Bett. Staubige Sonnenstrahlen durchfluteten das Zimmer. Schlaftrunken und vernebelt stemmte sie sich auf die Ellenbogen und sah sich um. Schmucklose, handverputzte Wände, schlichte Eichenholzmöbel und Spitzengardinen begrüßten sie stumm.
    Sie versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, und nach und nach stellte sich die Erinnerung wieder ein. Mit einer langsamen Karawane war sie in die Nacht hinausgeritten. Sie erinnerte sich an die verstohlenen Blicke der Männer, die sie begleitet hatten, und an den mochtar , der unmittelbar vor ihr geritten war und sie wachsam im Auge behalten hatte, während sie sich den Berg hinunter in ein fremdes Dorf begaben. Man hatte sie in ein Haus geführt und dort vor einem lodernden Herdfeuer an einen wackligen Küchentisch gesetzt. Man hatte ihr einen heißen Kräutersud gegeben, dessen Geschmack ihr unbekannt war. Unter den freundlichen und neugierigen Augen des mochtar und eines alten Ehepaars hatte sie ihn dankbar getrunken.
    Sie fühlte sich ein wenig verkatert; vermutlich hatten sie ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht, und das war zweifellos richtig gewesen. Schon bald wurde ihr schwerer Kopf leichter. Ein baumwollenes Unterhemd und ein beigefarbenes, langärmeliges Kleid mit zierlichen Stickereien an Ärmeln und Kragen lagen auf einem Stuhl vor dem kleinen Fenster für sie bereit. Daneben stand ein Paar Lammfellpantoffeln. Sie zog die Sachen an, öffnete das Fenster und stieß den hölzernen Laden auf. Angenehm warme Sonnenstrahlen fielen auf ihre müde Haut.
    Sie schaute hinaus. Eine Ansammlung flacher Häuser kauerte sich im Tal zusammen. Sie waren teils aus Lehmziegeln,
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