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Immer wenn er mich berührte

Immer wenn er mich berührte

Titel: Immer wenn er mich berührte
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Leiche wurde nie gefunden.
    Janine wurde in der Nacht in ein Spezialkrankenhaus am Staffelsee geflogen. Sie war bei vollem Bewußtsein, aber ihr Zustand blieb unverändert.
    Ein amerikanischer Militärarzt, der an Bord des Hubschraubers war, sprach das aus, was Dr. Stephan Haller einfach nicht denken wollte.
    »Verletzung der Wirbelsäule, Querschnittslähmung, das vermuten Sie doch auch, Herr Kollege, nicht wahr?«
    Während des Flugs saß Stephan Haller neben ihr, beobachtete sie und wartete auf ein Zeichen der Hoffnung. Nein, dachte er, diese Diagnose darf nicht stimmen. Es muß ein Wunder geschehen. Janine darf nicht zum totalen Krüppel werden, sie muß wieder sprechen, aufstehen, gehen … ein Mensch sein …
    Er verfluchte seine Kenntnisse, die Sätze aus dem Lehrbuch, die sich in sein Gehirn drängten: Hat eine volle Querschnittsläsion des Rückenmarks durch spitze oder stumpfe Gewalt stattgefunden, so entsteht eine totale, schlaffe, motorische Lähmung. Die Sensibilität ist völlig aufgehoben, der Körper wird von dem Patienten wie abgeschnitten erlebt. Die Prognose ist ungünstig.
    Er streichelte Janines Hand, obwohl er wußte, daß sie es gar nicht spüren konnte. Er hätte ihr eine Nadel ins Fleisch stechen können, sie hätte den Schmerz nicht gespürt.
    Inzwischen waren siebzehn Stunden vergangen. Es war vier Uhr nachmittags. Haller stand im Zimmer des Neurologen Dr. Endres, auf dessen Station Janine lag. Die ersten ausgewerteten Untersuchungsbefunde lagen nun vor.
    »Sie können ehrlich mit mir reden«, sagte Haller. Wie oft hatte er diesen Satz schon gehört, wenn er der Mann war, der das Urteil sprach. Vor der Operation, nach der Operation, die ängstlichen Gesichter der Angehörigen, Hoffnung, Verzweiflung, Tränen. Der Glaube an ein Wunder.
    Nun war er selbst in dieser Rolle.
    Dr. Endres trat mit ihm zum Fenster und hielt Röntgenaufnahmen gegen das Licht: »Wir haben keine Verletzung der Wirbelsäule gefunden – trotz zahlreicher Kontrollaufnahmen. Bitte, überzeugen Sie sich selbst.«
    Haller nickte.
    »Endgültiges läßt sich im Augenblick nicht sagen«, fuhr Dr. Endres fort, »jedoch neigen wir im Augenblick dazu, eine Hämatomyelie anzunehmen. Die Reaktionen im Blut und Liquor sprechen gegen eine Querschnittslähmung …«
    Durfte er aufatmen? Dazu war es entschieden zu früh. Nur eines stand fest: in Anbetracht des schrecklichen Zustands von Janine konnte der Befund nicht günstiger sein.
    Hämatomyelie bedeutete Blutungen im Rückenmark, eine relativ selten auftretende Sache. Diese Rückenmarksblutungen konnten durch einen Sturz oder einen Schlag ausgelöst werden. Er wußte, daß die Katastrophe in solchen Fällen schlagartig einsetzte. Die Betroffenen sinken zu Boden, können sich nicht mehr bewegen …
    Im Gegensatz zu den irreparablen Querschnittslähmungen war die Prognose bei der Hämatomyelie durchaus günstig. Wenn keine Komplikationen auf traten, dann bestand Aussicht auf völlige Wiederherstellung.
    »Ob wir richtig liegen, wird sich rasch entscheiden«, sagte Dr. Endres, »wenn es innerhalb der nächsten Tage nicht zu einem sichtlichen Rückgang der Ausfallerscheinungen kommt, dann …«
    Ein Klopfen an der Tür ließ ihn den Satz nicht mehr beenden.
    »Schwester, was gibt's?«
    »Die Patientin auf Nummer sechs hat zu sprechen angefangen. Im rechten Arm scheint sie außerdem jetzt schmerzempfindlich zu sein …«
    Stephan Haller hätte die Schwester am liebsten umarmt. Und auch Dr. Endres lächelte zufrieden. Der Rückgang der Ausfallserscheinungen hatte begonnen …
    »Wir werden uns die Patientin mal ansehen, ja?«
    Ganz hell war es im Zimmer. Hell und freundlich. Und er stand an ihrem Bett, und sie sah gar nicht mehr so totenblaß aus und er wußte, daß sich der Funke Leben entzündet hatte.
    »Stephan«, sagte sie. Ganz klar und deutlich sprach sie seinen Namen aus.
    Er beugte sich nahe über ihr Gesicht. »Liebes, du brauchst nichts zu erzählen. Ich weiß alles, was geschehen ist …«
    »Wie hast du mich gefunden?«
    Er winkte ab. »Das werde ich dir alles später mal sagen …«
    Mit ihren großen Augen sah sie ihn an: »Ich bin gelähmt, nicht wahr?«
    »Nein, Janine«, sagte er fest und feierlich, »du wirst gesund werden. Alle deine Glieder wirst du wieder bewegen können. Ich verspreche es dir, hörst du.«
    Dr. Endres trat aus dem Hintergrund vor. »Sie dürfen es ihm glauben. Ich weiß, Sie haben Furchtbares erlebt – und doch haben Sie noch verdammtes Glück
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