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Immer wenn er mich berührte

Immer wenn er mich berührte

Titel: Immer wenn er mich berührte
Autoren: Heinz G. Konsalik
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I
    Janine ging ins Bad und erschrak beim Blick in den Spiegel. Das war gar nicht ihr Gesicht. Eine Fremde schaute sie an. Alles war zerronnen, was sie hübsch und liebenswert machte, weggewischt. Müde sah sie aus, erschöpft, von einer geisterhaften Blässe.
    Nur nicht heulen, dachte sie. Wenn ich jetzt zu heulen anfange, dann ist es überhaupt aus. Dann bekomme ich verquollene, rotgeränderte Augen, und Jürgen weiß sofort, daß etwas passiert ist.
    Und gerade das wollte sie verhindern. Nein, er sollte keinerlei Verdacht schöpfen.
    Es war gleich sechs Uhr. Wenn Jürgen pünktlich vom Büro heimkam, dann war er in zehn Minuten da. Ein verzweifelter Mut erfaßte Janine. In zehn Minuten mußte sie die liebe, kleine Ehefrau werden, die ihr Mann heute sehen wollte …
    Zehn Minuten, um in das süße, kniekurze Kaschmirkleid zu schlüpfen, das sie gestern in der französischen Boutique am Savignyplatz gekauft hatte, zehn Minuten, um sich die blonden Fransen in die Stirn zu kämmen, um die Lidschatten zu verstärken, um die Blässe zu überpudern.
    Sie wußte, daß ihr ein zartes, durchsichtiges Make-up besser stand, aber damit kam sie heute nicht aus. Sie mußte dick auftragen, Rouge zu Hilfe nehmen, die Ringe unter den Augen wegschminken.
    War es Absicht oder Zufall, daß der Brief gerade heute gekommen war? Heute, an ihrem Hochzeitstag, an dem Tag, an dem sie vor fünf Jahren in einer kleinen bayerischen Dorfkirche den Werbeberater Jürgen Siebert geheiratet hatte. Heute war ihr fünfter, glücklicher Hochzeitstag – sie hatte sich dafür bei Angelo eine neue Frisur machen lassen, sie hatte sich ein neues Parfüm gekauft … Sie wollte Kerzen anzünden und schön sein.
    Wie lächerlich wurde das alles, als sie zu Hause dann den Brief fand. Ein weißes Kuvert ohne Absender, das sie achtlos öffnete. Der Brief war mit der Maschine geschrieben, ohne Unterschrift. Sie hatte ihn gelesen und in ihre Handtasche gesteckt, und sie hatte jedes Wort im Gedächtnis behalten.
    »Liebe Frau Siebert, Ihr Mann hat kürzlich in der Eisenacher Straße ein Appartement gemietet. Wissen Sie das? Sicher wissen Sie nicht, daß er sich dort jeden Dienstag und Donnerstag mit einem Mädchen trifft. Es ist immer die gleiche rothaarige Dame. Die beiden kommen gegen zwölf Uhr mittags und gehen etwa zwei Stunden später wieder. Für den Fall, daß Sie Näheres erfahren wollen, habe ich Ihnen einen Schlüssel beigelegt, mit dem Sie das Appartement öffnen können. Am besten, Sie fahren bis Nollendorfplatz, von da ist es nicht mehr weit. Aus Gründen, die ich hier nicht anführen kann, muß ich leider anonym bleiben.«
    Jürgen kam pünktlich.
    Janine hörte den Wagen, sah vom Fenster aus, wie die Scheinwerfer erloschen, hörte das Schnappen der Garagentüre, seine Schritte auf dem Kies des Gartenwegs.
    Ihre Hände waren kalt. Sie zitterte. Verzweifelt zwang sie sich zu einem Lächeln und öffnete die Haustüre.
    »Guten Abend, Liebling«, sagte sie, und es klang ganz normal.
    Jürgen zog sie zärtlich an sich. Behutsam entfernte er das Papier von fünf langstieligen Rosen und legte sie ihr in den Arm.
    »Jedes Jahr eine Rose mehr«, sagte er lächelnd. »Ich kann es nicht erwarten, bis es ein ganz großer Rosenstrauß ist. Meine Hände werden dann schon zittern, und du wirst immer noch süß aussehen …«
    Janine versteckte schnell ihr Gesicht in den Rosen. Wie einfach, dachte sie bitter. Wie einfach ist doch, eine Ehefrau zu betrügen. Rosen sind immer gut, nicht wahr? Dazu noch ein paar verliebte Blicke, zärtliche Worte – schon ist sie wieder selig, zufrieden und vertrauensvoll. Und natürlich ahnungslos.
    »Warum sagst du eigentlich nichts?« forschte Jürgen.
    Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Hilflos stand sie mit den Rosen im Arm da. Wenn sie jetzt schnell die Arme um ihn schlang und ihn küßte – vielleicht hielt er ihren merkwürdigen Zustand dann für Rührung.
    Er hielt ihn für Rührung.
    »Du, ich muß dir ein Geständnis machen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    »Ja …?«
    »Ich bin heute noch genauso verrückt nach dir wie am ersten Tag.«
    Sekundenlang blickte sie ihn an, forschte in seinen hübschen dunklen Augen nach der Wahrheit, nach einem winzigen Zeichen des Verrates, nach der Lüge, nach dem fremden Mädchen …
    Sie fand nichts. Und sie fragte sich verzweifelt, ob sie den Abend überhaupt durchstehen würde. Würde sie nicht ersticken an der Lüge?
    Aber wie stand es denn mit ihm? Erstickte er denn an der Lüge? Sie
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