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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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benötigte: ein kleines Kohlenbecken, ein Bündel Holz und Feuersteine. Iri begleitete mich bis zum Eingang der Grotte. Dort wandte ich mich ihm zu.
    Â»Weiter darfst du nicht mitgehen.«
    Er verneigte sich.
    Â»Ich warte auf dich.«
    Ich wandte ihm den Rücken zu, betrat langsam die Grotte, wo ich einen Augenblick verweilte, um meine Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen. Fauliges Moos bedeckte die Wände. Muschelsplitter füllten die Spalten des Gesteins. Das Tosen der Brandung, das Aufklatschen der Wogen an die Riffe war deutlich zu vernehmen. Vorsichtig ging ich weiter. Auf den Steinen hatten sich glänzende Pfützen gebildet. Je tiefer ich in die Grotte drang, desto stärker wurde der Geruch nach Salz und vermodernden Algen.
    Allmählich wurde der Stollen breiter und verlor sich dann in düsterer Höhe. Grünliche Tropfsteingebilde hingen von dem Gewölbe herunter. Dann fiel ein Lichtstrahl in das Halbdunkel. Eine Felsöffnung gab den Blick auf jene Stelle frei, wo einst die Heilige Insel aus den Fluten geragt hatte. Ich betrachtete das endlose blau glitzernde Meer, bevor ich voller Wehmut die Augen abwandte.
    In der Mitte des Raumes erhob sich wie ein Altar ein mächtiger, schwarz glänzender Basaltblock. Über ihm hing eine »Shimenawa«, eine Schnur der Läuterung, deren Votivbänder von der Feuchtigkeit verblichen waren. Eine bläuliche, seltsam phosphoreszierende Helligkeit drang aus dem Gestein. Mir war, als schwebe der Geist meiner Mutter wie ein schwach schimmernder Nebel in der Grotte.
    Â»Ich begrüße Euch, Mutter«, sagte ich halblaut. »Ich bin gekommen, Euren Rat zu erbitten …«
    Vor dem Altar kniend, schichtete ich Holz in das Kohlenbecken und schlug dann die Feuersteine. Es dauerte lange, bis der erste Funke glühte und das Holz sich entzündete. Ich stäubte Weihrauchpulver in die Flammen, atmete tief den herben, warmen Dunst ein. Dann wickelte ich aus einem weißen Tuch das Schulterblatt eines Damhirsches und legte es auf die Glut. Bald wurde mein Atem langsam und tief. Das Blut pochte in meinen Schläfen. Ich spürte, wie sich Leere in meinem Kopf ausbreitete.
    Â»Ich bin bei dir … befrage mich!«
    Hatte ich die Stimme wirklich vernommen? Die rötlich gelben Flammen lösten sich auf im milchigen Licht. Die Wände schienen sich wie Nebelschwaden zu teilen. Ein dunkel glühendes Loch tat sich auf: Das feurige Licht der Sonne traf meine Augen mit voller Kraft. Funkengarben und Blitze schossen in wirbelnden Kreisen. Ich schwankte, betäubt und geblendet.
    Â»Mutter!«, hörte ich mich stöhnen. »Was wird mein Schicksal sein?«
    Der Knochen auf dem Dreifuß glühte. Das trockene Prasseln der splitternden Oberfläche schreckte mich auf. Als ich Wasser auf die Glut schüttete, erloschen die Flammen mit zischendem Geräusch. Ich nahm den Knochen in meine Hände, ohne die Hitze zu spüren. Fieberhaft folgten meine Finger den Linien, den Kerben, tasteten die Risse entlang. Was für eine Form hatten die Spalten? Ein Kreis? Ja … die Sonne! Und dann ein Dreieck. Die Heilige Insel! Die beiden Zeichen schoben sich zusammen, verschmolzen zu einer Figur, die einem Schlüsselloch ähnelte und sich vervielfältigte. Ich ertastete drei, vier, zehn solcher Figuren. Wie seltsam! Vor meinen inneren Augen wurden sie größer, riesengroß, wurden zu Wäldern, zu Hügeln. Und ich begriff: Es waren Grabstätten, gewaltig und Ehrfurcht einflößend, die sich am Rande unbekannter Städte erhoben, aus dem Dunst der Reisfelder ragten, in verborgenen Waldlichtungen schlummerten.
    Das Echo einer Stimme klang in meinen Ohren:
    Â»Sei stark! Du trägst in dir die Keime der Zukunft. Unser Geschlecht wird bestehen, solange das Moos auf den Felsen wächst …«
    Ich stöhnte. Um mich herum drehte sich das Licht, konzentrierte sich auf einen Punkt, nahm Gestalt an. Es war ein Mensch - ein Mann! Ein hochgewachsener Mann. Um seinen Oberkörper schmiegte sich eng eine bronzene Rüstung. Er trug einen Helm mit einem Hirschgeweih. Ich erkannte ihn: Iri! Seine schwarzen Augen funkelten, sein Helm, seine Rüstung glitzerten. So viel Licht, so viel Glanz! Und dann: Dieser Glanz begann, sich zu beleben, wurde zu kupfernen, jadefarbenen, ebenholzschwarzen Schuppen. Feucht schillernde Ringe entrollten sich mit geschmeidigen Zuckungen, krochen an mir hoch. Eine
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