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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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überragte das Strohdach, und dreiunddreißig mit Moos bewachsene Steinstufen führten zu einem offenen Raum, in dem die Priesterinnen ihre Kulthandlungen vornahmen und die Sonnenwende feierten.
    Im Morgenlicht glich das Heiligtum einem Schiff mit geblähten Segeln, das zwischen den Bäumen gestrandet war. Als plötzlich ein Windstoß durch das Unterholz fuhr, gerieten die Schatten in Bewegung, und Sonnenstrahlen schossen wie Feuerfunken über das Dach. Ich blinzelte verwirrt, das Trugbild verschwand. Doch mein Herz war beunruhigt. Als Königstochter und Priesterin hatte ich gelernt, jede Wahrnehmung genau zu beachten, auch wenn die Gefahr, die ich vorauszuspüren glaubte, einer Sinnestäuschung entstammen konnte, die mich in eine falsche Richtung lockte.
    Unsere Hauptstadt Amôda lehnte kreisförmig an einem Hang. Als Schutz gegen die Brandungswellen hatten unsere Vorfahren einen Damm errichtet. Die Klippen öffneten sich vor der Mündung eines Flusses, der gut befahrbar war. Dort befand sich auch der Hafen. Seit uralten Zeiten benutzten wir Boote aus geflochtenem Schilfrohr, das mit Lehm abgedichtet wurde. Mit Segeln versehen, waren diese Schiffe durchaus seetauglich. Das Wasser plätscherte gegen die steinigen Ufer, wo Netze zum Trocknen ausgelegt waren. Oben am Hang waren Reisfelder angelegt. Die fruchtbare Erde ließ zwei Ernten im Jahr zu und niemand konnte sich an eine Hungersnot erinnern. Noch zogen Nebelschwaden durch die Wälder, wo alte Männer Holz zum Feuermachen sammelten, denn die Nächte wurden kühler. Nach Osten hin öffnete sich ein sumpfiges Gebiet, das einmal von dem Wasser eines Sees bedeckt gewesen war. Ein geheimnisvoller und gefährlicher Bereich, von unterirdischen Quellen durchzogen, der unserer Heimat Yamatai schon vor undenklichen Zeiten den Namen »Land-inmitten-der-Schilfrohrfelder« gegeben hatte.
    Unsere Handwerker waren sehr geachtet, denn sie bearbeiteten die sieben edlen Materialien: Metall, Stein, Holz, Leder, Bambus, Baumwolle und Ton. Es wurden auch Maulbeerbäume angepflanzt und Seidenraupen gezüchtet. In fast jedem Haus stand ein Spinnrad. Doch das Weben galt als Vorrecht der Priesterinnen, das Hin und Her des Schiffchens wurde mit dem heiligen Schöpfungsakt verglichen. Alle Häuser waren aus Holz, und es gab sogar noch Familien, die nach altem Brauch in Pfahlbauten lebten.
    Als Herren über die Metalle bildeten die Schmiede eine mächtige Zunft. Das Volk fürchtete sie, denn sie galten als Verbündete der Gottheiten, der »Kami«. Daneben verlangte eine uralte Tradition, dass die jungen Adligen die Kunst der Metallverarbeitung zu erlernen hatten. Jeder Krieger musste seine Waffen selbst schmieden.
    Die halbmondförmige Hafenanlage war nach Westen hin offen. Die Seeseite war befestigt. Zahlreiche Segelschiffe und Ruderboote befanden sich in dem Becken. Ein Fischerboot hatte gerade am Strand angelegt. Mit großen Tauen zogen die Männer das Boot auf den Sand, während die Frauen, lachend und scherzend, von hinten schoben. Sie trugen kurze blaue Gewänder, die mit einer Schärpe gehalten wurden, und breite Stirnbänder. Gischt spritzte um ihre stämmigen braun gebrannten Beine. Ich stapfte an ihnen vorbei durch den Sand, ohne dass sie mich erkannten, denn als Königstochter trat ich nie ungeschminkt vor das Volk.
    Keiner beachtete mich, als ich den Strand verließ, mich den Klippen zuwandte. Hier hatte das Meer kleine Buchten geschaffen. Im Frühling bauten Strandläufer und Regenpfeifer bis hinunter zur Wassergrenze ihre Nester. Über den Sandsteinfelsen, die weit hinaus ins Meer ragten, flimmerte die Hitze. Die Brandung umschäumte die Riffe und am Horizont schimmerte das Blau des offenen Meeres. Kein Mensch war hier zu sehen, alles schien einsam und weit weg. Ich streifte mein Kleid ab. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet, ging ich dem Meer entgegen. Das Wasser war durchsichtig und warm wie mein Blut. Während ich hinausschwamm, trugen mich die kleinen Wellen auf- und abwärts, und manchmal überspülte mich ein Kamm. Das Wasser war durchsichtig, die Sonnenstrahlen durchbrachen das Blau, ließen Sand und Korallen aufleuchten. Unter mir fiel der sandige Boden sanft ab; die Felsen waren mit Muschelsplittern verkrustet. Ein Schwarm schimmernder Fische breitete sich fächerförmig um einen Korallenstock aus.
    Mit einem Mal sah ich den Hai. Er tauchte aus dem
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