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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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jetzt ein Zeichen, damit mein Geist Ruhe findet.«

    Von der Luftströmung getragen, trieb der Sperber über den Bäumen ab. Traumbefangen folgte ich mit dem Blick seinem Flug. Mit einem Mal erfasste mich ein starkes Schwindelgefühl. Der Boden schien unter mir wegzugleiten. Losgelöst von der Erde, flog ich über die Riffe, vereint mit dem Sperber, dessen Raubgier und Kraft ich teilte. Und auf einmal wurde ich zum Vogel selbst, wurde zu Krallen und Schnabel, zu Federn und Flügeln und scharfblickenden Augen. Ich bemerkte die verstohlenen Bewegungen im Unterholz, erlebte den heftigen Schwung, als sich der Sperber wie ein Stein vom Himmel fallen ließ. Er senkte sich im Gleitflug, scheuchte einen Schwarm Wachteln aus dem Gebüsch, die wirr und erschrocken emporflatterten. Doch der Raubvogel schlug keine Beute. Etwas hatte ihn abgelenkt. Er änderte plötzlich die Richtung, schoss dicht an den Bäumen vorbei und drehte seitlich ab. Dann zog er einige aufsteigende Kreise, bevor er sich mit stetigem Flügelschlag entfernte.
    Ein Schreckensschrei entfuhr mir. Meine Seele hatte sich von der des Vogels gelöst, der nur noch ein dunkler, immer kleiner werdender Punkt am Himmel war. Ich kam wieder zu mir, bis in die Knochen von eisiger Kälte durchdrungen. Mit zitternden Händen zog ich mein Gewand über den Kopf, sprang auf und floh über den Strand.

2
    M an sagte mir später, dass ich im Laufen schrie. Man sagte mir auch, dass ich die Hände rang, meine Wangen zerkratzte, mir die Haare raufte. Ich erinnerte mich kaum mehr daran. Ich erinnerte mich nur noch an das Grauen, das von mir Besitz ergriffen hatte und mich betäubte.
    Â»Die Sperbermenschen!«, schrie ich. »Die Sperbermenschen kommen!«
    Es war ein Name, der die Mutigsten erbleichen ließ; ein Name, der das Blut in den Adern der Männer und Frauen zum Stocken brachte. Wo ich vorbeilief, blieben die Leute stehen. Bauern, die mit der Hacke in der Hand vom Feld kamen, starrten mich an, als sei ich eine Irre. Die über ihre Netze gebeugten Fischer sahen beunruhigt auf. Ich rannte an den Lagerhäusern vorbei, wo sich Berge von Warenballen stapelten, bahnte mir einen Weg durch die engen, überfüllten Straßen. Eine Anzahl Männer trat lachend aus einem Teehaus. Ich schleuderte ihnen meinen Schrei ins Gesicht und sie wichen erschrocken zurück. Ich stieß gegen eine Frau, die gebückt unter dem Gewicht eines Baumwollballens daherkam. Sie verlor das Gleichgewicht, taumelte gegen eine Wand. Ihre Last fiel zu Boden. Ich schrie sie an: »Die Sperbermenschen kommen!«
    Eine große Wirrnis war in meinem Kopf. Wer hatte dem Feind den Weg über die Inseln verraten? Der Name, den ich zu vergessen geschworen hatte, blitzte wie ein brennender Funke in mir auf. Ich stolperte über einen Stein, fiel der Länge nach hin. Stöhnend raffte ich mich auf. Meine Knie bluteten. Atemlos rannte ich weiter. In düsterer Besorgnis folgten mir aller Augen. Satzfetzen drangen an mein Ohr: »Sie ist es … Toyo-Hirume-no-Miko … die Prinzessin Toyo! Rührt sie nicht an! Die Gottheit spricht aus ihrem Mund … Ein Unglück steht uns bevor …!« Auf diese Weise, getragen von der Kraft meiner Besessenheit, unempfindlich gegen Schmerz oder Erschöpfung, lief ich der Burgfestung entgegen. Vor dem Ausfalltor brach ich zusammen.
    Jemand - es musste ein Wächter sein - hob mich hoch, trug mich fort. Mein Kopf schwang hin und her, meine Haare schleiften über den Boden. Schon verdunkelte sich der helle Tag, alle Geräusche verschwanden in weiter Ferne. Die Welt wurde schwarz und still.
    Das Erste, was zurückkam, war ein Gefühl der Ruhe. Sanfte Hände legten ein nasses Tuch auf meine Stirn. Ich schlug die Augen auf, erkannte das besorgte Gesicht meiner Kinderfrau. Sie hob meinen Kopf, setzte eine dampfende Schale an meine Lippen. Ich trank gierig, bis die Schale leer war. Dann fiel ich erschöpft auf die Matte zurück. Miwa streichelte meine Stirn, murmelte beruhigende Worte. Die Übelkeit war gewichen, ich empfand nur noch ein starkes Bedürfnis nach Schlaf. Doch zunächst hatte ich etwas zu tun, etwas, was keinen Aufschub duldetete. Ich sagte zu Miwa:
    Â»Bitte meinen Verehrungswürdigen Onkel Tsuki-Yomi zu kommen.«
    Sie wiegte bekümmert den Kopf, wollte widersprechen. Ich packte sie am Ärmel.
    Â»Jetzt sofort, Miwa! Hörst du?«
    Sie seufzte, bevor sie
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