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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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Kegel aus flüssigem Feuer.
    Plötzlich scheute Wa-Uma, sprang schnaubend zur Seite. Ein feiner Staubregen rieselte von einem Felsvorsprung. Kiesel lösten sich, sprangen sirrend und prasselnd über den Hang. Der Befehl, den ich geben wollte, blieb mir in der Kehle stecken. Tosend brach die Geröllwand über einer Reitergruppe zusammen. Felsblöcke und Erdbrocken begruben schreiende Männer und wiehernde Pferde. Man zog zwei schwer verletzte Reiter aus dem Geröll, als ein heißer Luftzug durch die Luft fegte: Aus jedem Baum, jedem Strauch, jeder Felsspalte schwirrten große und kleine Vögel auf, flatterten wirr im gleißenden Licht, taumelten gegen die Felswände. Ein einziges Flattern, Kreischen und Beben erfüllte die Luft. Aus den Tiefen der Erde stieg ein unheimliches, brausendes Grollen. Ein entsetzter Schrei stieg aus tausend Kehlen, als sich unten am Strand die Wasser zurückzogen. Jeder sah, wie sich das Meer mit einer Geschwindigkeit vom Festland entfernte, wie man es noch niemals zuvor, bei keiner Ebbe, erlebt hatte. Das gurgelnde Geräusch der zurückströmenden Wassermassen hallte unheimlich von den Bergen wider. Die im Hafen liegenden Schiffe schwankten, schaukelten, drehten sich im gewaltigen Sog, der sie gegen Klippen schleuderte und auf Sandbänke warf.
    Da brach Panik aus. Die Leute schrien, rannten wild durcheinander. Alte Leute und Kinder wurden zertrampelt. Die Pferde wieherten, bäumten sich auf und schlugen aus. Vergeblich bemühten sich Kuchiko und seine Wachen, die in blindem Schrecken talabwärts fliehende Menge aufzuhalten. Von ungeheurer Kraft angezogen, wichen die Wellen immer weiter zurück, dem Horizont entgegen. Das Gleichgewicht, das das flüssige Element beherrschte, war gestört. Schon erreichte die schäumende Wassergrenze die Heilige Insel. Es war, als ob die Wogen sich teilten, und mit einem Mal erhob sich der Felsensockel wie ein Gewächs aus dem schwarzen Boden des Meeresgrundes, den kein menschliches Auge zuvor gesehen hatte und auch in Tausenden von Jahren nie wieder erblicken würde.
    Die Erde zitterte und rollte mit gewaltiger Kraft. Es war, als ob die Bergkette schwankte. Wa-Uma wieherte schrill, brach zur Seite aus. Ich verlor das Gleichgewicht, wurde aus dem Sattel geschleudert und stürzte zu Boden. Schon war Iri vom Pferd gesprungen. Ich spürte halb besinnungslos, wie er mich in die Arme schloss. Steine prasselten auf uns nieder, sprangen von Absatz zu Absatz in die Tiefe, schlugen polternd auf.
    Dann trat wieder Stille ein. Die Erde schien den Atem anzuhalten. Iri presste mich an sich. Ich hörte ihn keuchen, als die Erde erneut zu beben begann. Der Boden bäumte sich auf. Ich sah, wie ein riesiger Felsblock sich löste, bergabwärts rollte. Das Getöse musste ohrenbetäubend sein, doch ich hörte nichts, keinen einzigen Laut. In kurzer Entfernung schwankte eine alte Fichte, wie von einem Windstoß erfasst. Die Wurzeln, die tausend Jahre alt waren, rissen sich aus dem Boden. Und mit einem Mal sprang die Bergflanke entzwei. Ein klaffender Riss bewegte sich mit rasender Geschwindigkeit auf uns zu, wurde immer breiter, immer tiefer, zog Bäume, Menschen und Tiere in den Abgrund.
    Die Sänfte meines Onkels kippte um. Tsuki-Yomi wurde hinausgeschleudert, klammerte sich verzweifelt an einen Vorsprung am Rand des Abgrunds. Iri kroch zu ihm hin, streckte die Hand aus, die Tsuki-Yomi packte. Unter Aufbietung aller Kräfte zog ihn Iri von der Spalte weg, gerade in dem Augenblick, als die Wände aufeinanderdrückten und die Kluft sich binnen einiger Augenblicke wieder schloss und nur noch ein Gewirr von entwurzelten Bäumen und Sträuchern, von Erdbrocken und gespaltenen Felsblöcken wie eine ungeheure rote Narbe die Bergflanke überzog. Die Erde seufzte tief, bevor sie sich beruhigte.
    Wir rangen nach Luft. Zerschunden und staubbedeckt, auf Hände und Knie gestützt, rafften wir uns auf. Iris Gesicht war von Prellungen und Blutergüssen entstellt. Die Kleider meines Onkels hingen in Fetzen. Einige Atemzüge völliger Stille folgten. Dann bewegte sich die Luft, es war, als ob sie fröstelte. So benommen wir auch waren, wir hörten ihn alle gleichzeitig, den sonderbaren, schrillen Pfeifton, der sich nun erhob. Er schien gleichzeitig aus der Erde und aus dem Himmel zu wachsen, schwoll an, erfüllte die Luft, wurde zum gellenden Zischen. Iri schrie etwas, streckte den
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