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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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in die blutrote Glut, als ob er sich mit ihr vereinte, und ließ mich allein.
    Und wieder bebte die Erde …

25
    L angsam und mühevoll erklomm die Menschenmenge den Gebirgspfad. Die Tungusen ritten an der Spitze. Dann folgte die königliche Leibgarde, die die Sänften der Hofdamen und Adligen begleitete. Die Dienstboten trugen ihre Lasten auf dem Rücken oder zogen schwer beladene Karren. Hinter ihnen drängte sich der endlose Strom der Flüchtenden. Der Staub, von unzähligen Füßen, Rädern, Hufen aufgewirbelt, staute sich wie flimmernder rötlicher Nebel.
    Der Mond stand noch hoch am Himmel, als das Beben die Stadt erschüttert hatte. Der erste Stoß hatte den Wachtturm gespalten, die Befestigungsmauern mit tiefen Rissen durchzogen. Die Gesteinsmassen, auf denen die Burg erbaut war, hatten den Stoß aufgefangen; die Schäden waren gering. Aber in Amôda waren die Verwüstungen gewaltig: Die mit Reisstroh bedeckten Holzhäuser waren zusammengefallen, hatten die im Schlaf überraschten Bewohner unter den Trümmern begraben. Das Heiligtum von Sugati hatte sich auf sonderbare Art zur Seite geneigt: Ein Teil der Querbalken war abgerutscht, die Steinstufen hingen ins Leere.
    Bei Tagesanbruch hatten die Muschelhörner zum Aufbruch geblasen. Die Leute hatten in Eile, jedoch ohne Panik, ihren Auszug vorbereitet. Trotz der Verwüstungen zögerten viele, die Stadt zu verlassen. Die Reisfelder hatten keinen Schaden erlitten, Hafen und Damm waren unversehrt. Die leichten Holzhäuser würden rasch wieder aufgebaut sein. Doch ich wusste, dass das Beben nur ein Vorzeichen des heraufziehenden Unheils war, und hatte dafür gesorgt, dass dem Befehl zum allgemeinen Aufbruch Folge geleistet wurde.
    Jeder hatte mitgenommen, was er tragen konnte. Vorräte, Stroh und Holz waren auf Karren geladen worden. Die Priesterinnen hatten die Kultgegenstände aus den Trümmern des Heiligtums bergen können. Das heilige Schwert, in weiße Seide gehüllt, ruhte in einer Truhe aus kostbarem Holz. Mithilfe von Bambusstangen wurde sie von zwei Priesterinnen auf den Schultern getragen. Die Menschen halfen sich untereinander; Männer nahmen abwechselnd alte Leute auf ihren Rücken. Hände wurden ausgestreckt, um Frauen und Kindern beim Überqueren gefährlicher Wegstrecken zu helfen.
    Von einer Gruppe bewaffneter Offiziere umgeben, ritt ich auf Wa-Uma an Iris Seite. Mein Onkel, Majestät-Wächter-des-Mondes, folgte in einer von vier Männern getragenen Sänfte. Der Pfad stieg unaufhaltsam an. Der Halbkreis der Berge glänzte und funkelte. Mit wachsender Unruhe betrachtete ich den gelblich bleiernen Ozean. Unter dem breitrandigen Strohhut, der mich vor der Sonne schützte, war mein Gesicht staub- und schweißverklebt. Die stickige Luft flirrte. Ich spürte die drohende Gefahr. Ein einziger Gedanke erfüllte mich: das Volk rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
    Ich lenkte mein Pferd an die Seite der Sänfte des Regenten. »Die Zeit drängt. Wir müssen vor Nachteinbruch die Hochebene erreichen.«
    Tsuki-Yomi beugte sich über die geflochtene Lehne und sah den Weg hinauf. »Wir können die Leute nicht schneller vorantreiben«, antwortete er mit besorgtem Stirnrunzeln. »Der Aufstieg ist zu steil!«
    Ich schlug meinen Schleier zurück und betrachtete den Pfad. Er zog sich in zahllosen Windungen an der Bergflanke empor, wurde immer schmaler und abschüssiger. Hier und da versperrten große Erdbrocken, durchsetzt von Wurzeln und Steinen, den Pfad. Schwitzende Männer mühten sich ab, sie wegzuschaffen. Unerträgliche Kopfschmerzen quälten mich. »Beeilt euch! Schneller!« Der Zug kam erneut zum Stocken, als ein umgestoßener Holzkarren polternd und berstend über den Hang stürzte. Geschrei wurde laut. Männer und Frauen drängten und stießen sich, um die Holzbündel einzusammeln. Die Vorahnung unmittelbarer Gefahr erfüllte mich mit fieberhafter Angst. Zornig rief ich Iri zu:
    Â»Der Karren soll zurückgelassen werden! Sobald wir im Lager sind, können die Leute ihn holen.« Iri winkte einen Reiter herbei, der im Galopp den Weg hinuntersprengte. Widerwillig beugten sich die Leute dem Befehl, doch immerhin ging der Aufstieg weiter. Je weiter der Morgen fortschritt, umso glühender brannte die Sonne. Ihr Widerschein auf dem Meer war kaum zu ertragen. Die Heilige Insel in der Bucht glich einem
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