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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie
Autoren: Jean-Christophe Grange
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eindeutig.«
    Perraya schüttelte den Kopf und brummte dann:
    »Was wollen Sie? Weshalb bin ich hier?«
    »Ich will wissen, wer die wahren Schuldigen sind. Wer versteckt sich hinter diesen Aktiengesellschaften, denen das Gebäude gehört? Wer hat Ihnen Anweisungen gegeben? Sie sind doch nur ein Bauernopfer, Perraya. Sie sollen den Kopf hinhalten!«
    »Ich weiß es nicht. Ich kenne niemanden.«
    »Perraya, Sie riskieren mindestens zehn Jahre Gefängnis ohne Bewährung. Wenn ich wollte, könnte ich Sie schon heute in Untersuchungshaft nehmen.«
    Perraya hob den Blick. Ein Glitzern unter den dichten grauen Augenbrauen. Jeanne spürte, dass er kurz davor stand, auszupacken. Sie zog eine Schublade auf und nahm einen Kraftpapier-Umschlag DIN A4 heraus. Daraus zog sie einen Schwarz-Weiß-Abzug im selben Format.
    »Tarak Alouk, acht Jahre alt, gestorben sechs Stunden nach seiner Einweisung ins Krankenhaus. Er erstickte an seinen Krämpfen. Bei der Obduktion wurde festgestellt, dass die Bleikonzentration in seinen Organen den als giftig geltenden Schwellenwert um das Zwanzigfache überstieg. Wie werden diese Fotos Ihrer Meinung nach wohl auf das Gericht wirken?«
    Perraya wandte den Blick ab.
    »Das Einzige, was Ihnen jetzt noch helfen kann, ist es, die Verantwortung zu teilen. Uns zu sagen, wer sich hinter den Aktiengesellschaften verbirgt, von denen Sie die Anweisungen erhalten.«
    Der Mann antwortete nicht. Er hielt den Kopf gesenkt, und sein Hals war schweißüberströmt. Jeanne sah, dass seine Schultern zitterten. Sie selbst zitterte in ihrer schweißnassen Baumwollbluse. Der Kampf, der entscheidende Kampf, hatte begonnen.
    »Perraya, Sie werden mindestens fünf Jahre im Gefängnis vegetieren. Sie wissen doch, was man mit Kindermördern in den Gefängnissen macht?«
    »Aber ich bin kein ...«
    »Das spielt keine Rolle. Die Gerüchteküche wird sogar dafür sorgen, dass man Sie für einen Pädophilen hält. Wer verbirgt sich hinter diesen Aktiengesellschaften?«
    Er rieb sich den Nacken.
    »Ich kenne sie nicht.«
    »Als es brenzlig wurde, haben Sie doch mit Sicherheit die Entscheidungsträger informiert.«
    »Ich hab Mails verschickt.«
    »An wen?«
    »Ein Büro. Eine Immobiliengesellschaft. Die FIMA.«
    »Man hat Ihnen also geantwortet. Stand unter diesen Antwortschreiben keine Unterschrift?«
    »Nein. Es handelt sich um einen Vorstand. Sie wollten nichts unternehmen, das ist alles.«
    »Haben Sie sie nicht gewarnt? Haben Sie nicht versucht, Klartext mit ihnen zu reden?«
    Perraya zog den Kopf zwischen die Schultern, ohne zu antworten. Jeanne griff nach einem Vernehmungsprotokoll.
    »Wissen Sie, was das ist?«
    »Nein.«
    »Die Aussage Ihrer Sekretärin Sylvie Desnoy.«
    Perraya wich auf seinem Stuhl zurück. Jeanne fuhr fort:
    »Sie erinnert sich daran, dass Sie am 17. Juli 2003 zusammen mit dem Eigentümer das Gebäude in der Avenue Georges-Clemenceau 6 aufgesucht haben.«
    »Sie irrt sich.«
    »Perraya, für Ihre Fahrten benutzen Sie ein Abonnement bei der Gesellschaft G7. Ein Abonnement für Geschäftskunden. Alle Routen werden digital gespeichert. Soll ich fortfahren?«
    Keine Antwort.
    »Am 17. Juli 2003 haben Sie ein Taxi bestellt, einen hellgrauen Mercedes mit dem Kennzeichen 345 DSM 75. Die ersten Gutachten hatten Sie zwei Tage zuvor erhalten. Sie wollten sich selbst ein Bild von den Schäden machen. Von dem Gesundheitszustand der Mieter und den notwendigen Sanierungsarbeiten.«
    Perraya warf Jeanne gehetzte Blicke zu. Er hatte glasige Augen.
    »Nach Auskunft der Firma G7 haben Sie einen Umweg gemacht und in der Avenue Marceau 45 gehalten.«
    »Ich erinnere mich nicht mehr.«
    »In der Avenue Marceau 45 hat die FIMA ihren Sitz. Es liegt daher nahe, anzunehmen, dass Sie den Chef der Immobiliengesellschaft aufgesucht haben. Der Fahrer hat zwanzig Minuten auf Sie gewartet. Zweifellos brauchten Sie so lange, um dem Mann den Ernst der Lage zu verdeutlichen und ihn dazu zu bringen, Sie zu begleiten. Wen haben Sie an diesem Tag abgeholt? Wen decken Sie, Monsieur Perraya?«
    »Ich kann Ihnen keinen Namen nennen. Berufsgeheimnis.«
    Jeanne schlug auf den Tisch.
    »Quatsch. Sie sind weder Arzt noch Anwalt. Wer ist der Chef der FIMA? Wen haben Sie abgeholt, verdammt noch mal?«
    Perraya schwieg. In seinem teuren Anzug sah er wie ein Häufchen Elend aus.
    »Dunant«, murmelte er. »Er heißt Michel Dunant. Er ist Mehrheitseigner von mindestens zwei Aktiengesellschaften, denen das Gebäude gehört. Tatsächlich ist er der
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