Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Visier des Todes

Im Visier des Todes

Titel: Im Visier des Todes
Autoren: O Krouk
Vom Netzwerk:
doch.« Er legte seine Hand auf ihre Wange, tastete mit steifen Fingern über ihr Gesicht, die Nase, die Lippen, über all die Stellen, die er einst geküsst hatte. In der Dunkelheit konnte sie seine Züge nur erahnen. »Das Fenster über uns – siehst du es?«
    Stumm hob sie den Blick. Eine schmale Öffnung in der Wand, mehr nicht. Ihre beiden Leben, die hindurchpassen mussten. Oder von den beißenden Schwaden davongetragen würden.
    »Die Zange. Im Werkzeugschrank.« Ihre trockenen, rissigen Lippen schmerzten bei jedem Laut.
    Er lehnte seine Stirn gegen die ihre. »Gut.«
    Sie versuchte, auf die Beine zu kommen, taumelte. Er stützte sie. Ein Atemzug – und schon schüttelte der Husten sie. Sie hörte, wie das Holz der Tür unter den Flammen knackte und stöhnte, kroch zum Werkzeugschrank, zog sich an der Schublade hoch und wühlte darin herum, bis ihre Finger gegen die Zange stießen. Der Weg zum Fenster kam ihr unendlich weit vor. Die Schwaden füllten den Raum aus, raubten ihr den Sauerstoff.
    Mit ganzer Kraft warf Leah die Zange gegen das Glas. Es knirschte, hielt aber stand. Leben. Da draußen. Das Sein ohne Atem hier drin. Sie blickte zu Kay, der auf dem Boden nach Luft rang.
    Wieder schleuderte sie die Zange empor. Wieder und wieder. Das Glas splitterte. »Wir schaffen es.«
    Der Husten schien ihre Kehle aufzureißen. Sie presste den Saum ihres Pullovers gegen das Gesicht, kniete vor Kay nieder und legte auch ihm einen Teil seines Hemdes über Mund und Nase. »Bitte, gib nicht auf! Du musst jetzt aufstehen.«
    »Ja.« Sie hörte ihn kaum, spürte aber die Bewegung seiner Lippen an ihrer Handfläche.
    »Du musst dich anstrengen. Ein letztes Mal. Bald ist es vorbei.«
    »Ja.« An der Wand zog er sich hoch. »Du zuerst.«
    Mit beiden Händen packte er sie an der Hüfte und hob sie dem Fenster entgegen. Seine Arme zitterten vor Anstrengung. Leah griff nach draußen. Die nächtliche Kälte streifte ihre ausgestreckten Finger. Kay taumelte. Sie streckte sich, spannte jeden einzelnen Muskel an. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Erde, pflügten durch den Schlamm, vergeblich nach Halt suchend. Noch ein bisschen …
    Mit letzter Kraft schob Kay sie höher. Die im Rahmen stecken gebliebenen Scherben rissen ihren Pullover auf und schabten über ihre Haut. Sie wand sich Stück für Stück durch die schmale Öffnung. Die kalte Luft spülte den Geruch des Rauchs aus ihrer Lunge. Ihre Hand griff nach einem Grasbüschel. Sie zerrte daran, zog sich weiter voran, zwängte ihren Oberkörper nach draußen. Fast. Geschafft. Erschöpft presste sie sich mit einer Gesichtshälfte in den Matsch, während ihr Becken noch im Fensterrahmen feststeckte.
    Fast.
    Sie robbte weiter, bis das Haus sie endlich freigab, sie sich auf den Rücken wälzte, den Himmel über sich sah.
    Geschafft.
    Sie wandte sich um. Aus dem Fenster stieg der giftige Qualm empor und schraubte sich gen Wolken.
    »Kay?« Sie steckte einen Arm in die Öffnung. Atmete wieder den Rauch ein, die brennenden Augen zusammengekniffen. »Kay!«
    Die raue Wand. Seine ausgestreckten Finger. Endlich.
    Mit seinem Daumen strich er über ihren Handrücken. »Ich liebe dich.«
    So klar seine Worte. So erschreckend klar.
    »Komm, jetzt du. Ich helfe dir. Ich weiß, dass wir das schaffen!«
    »Ich liebe dich.«
    Sie wollte es nicht hören. Kein Wort mehr! Nein. Hilflose Wut schnürte ihr die Brust zusammen. »Das kannst du mir auch später sagen, verdammt!« Sie packte sein Handgelenk. »Mach schon!«
    »Es wird kein Später geben.«
    »Kay, bitte, komm jetzt.«
    »Ich werde nicht da durchpassen.«
    Sein Handgelenk entglitt ihr.
    »Kay!«
    Nichts als die raue Wand, Scherben, die ihr den Arm aufschnitten, Rauch … Sie rief nach ihm, tastete umher. Warum antwortete er nicht? Verzweiflung stieg in ihr hoch. Sie durfte ihn nicht verlieren. Nicht so!
    Noch fester biss sie sich auf die Unterlippe, kam auf die Beine und torkelte zum Vordereingang. Es gab nur einen einzigen Weg: Sie musste die Tür, die ihre Mutter irgendwie verkeilt hatte, öffnen und Kay über die Treppe aus dem Keller holen. Sie hoffte, sie hätte noch Kräfte dazu.
    Der Rauch schlug ihr entgegen, sobald sie die Eingangshalle betrat. Überall loderten Flammen empor, die Hitze presste ihr den Schweiß aus allen Poren, raubte ihr den Atem. Die Mutter hatte anscheinend auch im Erdgeschoss Benzin verschüttet. Sie kniff die Augen zusammen, tastete sich vorwärts. Rauch … in ihrer Kehle, in ihrem Kopf … Er benebelte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher