Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Visier des Todes

Im Visier des Todes

Titel: Im Visier des Todes
Autoren: O Krouk
Vom Netzwerk:
erfolgreich gemieden haben.
    »Danke, dass du gekommen bist. Ich glaube, du bist so ziemlich der Einzige, der nicht fragt, wie ich mich fühle.« Ruhelos, haltlos – selbst nur ein Schall unter fremden Stimmen, bloß ein Nachruf, der in dieser Welt zurückgeblieben war. Ihre Finger bedeckten den Zwillingszeichen-Anhänger. Sie senkte die Hand, schaute zu Poul. Er müsste es verstehen, würde keine Worte brauchen.
    Aber vielleicht waren es nur die Schäferwölkchen in ihren Nägeln, die ihn so bannten.
    Sie zwang sich zu einem Lächeln, schloss die Hand und betrachtete ihre Fingernägel. »Angeblich kleine Luftbläschen in der Struktur. An Kalzium- oder Magnesiummangel liegt es nicht. Aber womöglich bringt dein Röntgenblick eine innovative Wendung in die Geschichte.«
    Röte zerfloss über seine Wangen. Er steckte sich ein Plättchen Minzschokolade in den Mund und knackte mit den Knöcheln, einen nach dem anderen.
    Fest schloss sie die Finger um seine unruhigen Hände. »Poul, was ist los? Was musstest du mir so dringend sagen?«
    Die enge Treppe bot wenig Platz, aber genug Ruhe für sie beide. Er rutschte neben ihr hin und her, sein Oberschenkel streifte den ihren, und die Röte wurde eine Spur dunkler. Das flatterige Grübchenlächeln, das die Frauenwelt um ihn herum normalerweise ausnahmslos schwach werden ließ, vermochte kaum davon abzulenken.
    Sie hatte ihn schon immer süß gefunden, besonders in den Momenten, wenn Céline sich an ihn schmiegte, um ihr dann einen verstohlenen, kecken Blick zuzuwerfen: Ist es nicht schön, Schwesterherz?
    »Céline … Céline und ich … « Seine Stimme klang älter, beinahe gereift. Das Quieken der Pubertät musste er schon Jahre hinter sich gelassen haben, obwohl seine Männlichkeit noch immer Bravo -konform ausfiel. »Céline und ich waren … « Er verstummte wieder.
    »Es ist in Ordnung, wenn du nicht über sie reden kannst. Ich kann es manchmal auch nicht.«
    »Ich muss. Ich muss, verstehst du?«
    »Du weißt, dass ich für dich da bin.«
    Sein Blick flatterte. Wie jenes Lächeln, das sich nicht auf seinen Lippen hielt. Wie die Worte, die er nur stockend hervorbrachte.
    »Céline.« Langsam wiederholte Leah ihren Namen, hielt ihn in sich lebendig, warm. Wie den Erdbeergeschmack der Lollis, nach denen ihre Schwester auch mit zwanzig Jahren noch so verrückt gewesen war. »Erinnerst du dich daran, wie Céline gestrahlt hat, als du sie ins Kino eingeladen hast? Zumindest, bis meine Mutter darauf bestanden hat, dass ich mitgehe, um auf euch aufzupassen. Ihr beide, Céline und du … «
    »Nein.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Nein.«
    Früher hätte sie ihn gedrückt. Aber seine Stimme – ja, sie klang älter, gereift, und die neun Jahre Unterschied zwischen ihnen erlaubten es ihr schon lange nicht mehr, seine Tränen zu sehen.
    »Leah!« Die Mutter.
    Sie drückte die Schläfe gegen das Treppengeländer, schloss die Lider. »Nicht jetzt. Bitte.«
    »Leah!« Der Ruf wurde ein paar Dezibel lauter, eindringlicher, alarmierter. Er vibrierte über all die anderen Stimmen hinweg, riss sie entzwei, fort von Céline.
    Sie erhob sich, zog ihren Rock zurecht und musste nicht lange auf den nächsten Ruf warten, der näher und näher anzurollen schien.
    »Ich bin gleich wieder da.«
    »Leah, warte. Bitte.«
    »Es dauert nicht lange.«
    Hoffentlich nicht. Sie stieg die Stufen hinunter und hörte, wie Poul hinter ihr geräuschvoll Luft holte, wie er auf die Füße sprang. »Weißt du … Weißt du noch, wie du einmal gesagt hast, du würdest mich umbringen, sollte ich Céline je wehtun?«
    Ihr Fuß knickte um.
    »Leah! Wo bist du, mein Mädchen?«
    Die Mutter. Pouls Blick.
    Sie wich zurück. Er sah nicht mehr süß aus, nicht nach dem Jungen, für den Céline bereits mit dreizehn das Küssen an einem Pfirsich geübt und dabei Leah zu ihrem Personal Trainer auserkoren hatte. »Wehtun«, »umbringen« – etwas Beunruhigendes flackerte in seinen Augen auf, erlosch, und Reue entstellte seine Züge.
    Sie drehte sich um und eilte aus dem Flur, durch das Wohnzimmer, durch die Menge der schwarz gekleideten Trauergäste mit ihren Beileidsbekundungen. Hinter einem Vorhang verborgen, kippte sie ein Fenster und nahm ein paar tiefe Atemzüge, bis ihr Herz aufgehört hatte zu rasen. Lächerlich, so überzureagieren, von zwei unbedacht geäußerten Wörtern verschreckt.
    Der Vorhang wurde beiseitegezerrt. Beinahe gewaltsam schabten die Metallringe über die Gardinenstange. Leah zuckte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher