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Im Visier des Todes

Im Visier des Todes

Titel: Im Visier des Todes
Autoren: O Krouk
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zusammen. Aber es war nicht Poul.
    »Leah, Kleines, da bist du ja.«
    Nachthyazinthe, Vanille, Palmarosa und ein Tick Mandarine. Dazu der Geruch von Gänsepastete, die zu lange im warmen Zimmer gestanden hatte.
    »Iss etwas.« Ihre Mutter erschien in fließenden Gewändern: einer weit geschnittenen Hose, die ihre Kurven luftig umspielte, und einem knöchellangen schwarzen Kaftankleid mit goldener Stickerei. »Das Zeug muss weg, ich brauche die Platte. Oder magst du keine Pastete? Ach, schau hier, überbackene Pflaumen!«
    Sie lehnte die Stirn gegen das kalte Glas. Überreagiert. Mehr nicht. Poul würde es verstehen.
    Die frische Luft tat ihr gut.
    Hinter dem Fenster schlenderte ein Obdachloser die Allee entlang, seinen Einkaufswagen, mit unzähligen Tüten bepackt, vor sich herschiebend. Er blieb vor dem Gartentor stehen und wühlte in seinen Habseligkeiten.
    »Ach, was ist denn los, mein Mädchen? Geht’s dir nicht gut? Hier, Pflaumen. Wann hast du überhaupt zum letzten Mal gegessen?«
    Der Obdachlose zog weiter.
    »Dienstagmittag.« Ihr Atem beschlug die Scheibe. »Es gab etwas in einer Soße, was du als Hühnerfrikassee bezeichnet hast.«
    »Das ist doch schon Ewigkeiten her!«
    »Ja.« Aber an mehr erinnerte sie sich nicht. Nur an die geblümte Wachstuchdecke, die penetrant roch, an den Gabelslalom auf dem Teller und das Läuten des Telefons. Kurze Zeit später war die Mutter zurückgekommen, das Gesicht grau und irgendwie klumpig, fast wie die Frikasseesoße. Sie haben sie gefunden.
    Sie.
    Die Leiche.
    Nicht mehr Céline, nie wieder Céline.
    Sie klammerte sich an den Zwillingszeichen-Anhänger. Mit einem Finger malte sie ein » C « in ihren Atemhauch auf dem Glas. Viele sagten, dass ihre Handschriften sich ähnelten, obwohl sie keine Zwillinge waren.
    »Jetzt nimm endlich was davon.« Die Mutter hielt ihr die Platte mit der Gänsepastete unter die Nase. »Du musst jetzt ein bisschen essen, Leah.«
    Sie schnappte nach frischer Luft, doch es war nur der Essensdunst, der ihren Mund erfüllte.
    »Entschuldige.« Eine Hand gegen die Lippen gepresst, drängte sie sich durch das Gewirr der schwarzen Roben. Im Flur schnellte ihr Blick zur Treppe hoch, doch Poul war nicht mehr da. Weißt du noch, wie du einmal … sollte ich Céline je wehtun … Ihr Herz raste wieder. Nein, er könnte niemandem wehtun. Das Poul-Hörnchen , wie Céline ihn stets genannt hatte, wenn sie von ihm sprach. Und lachte, lachte gelöst, laut – glücklich?
    Er war auch nicht im Vorgarten, in dem ein paar Gäste ihren Zigarettenrauch in den Herbsthimmel bliesen, sein Porsche zierte nicht mehr die gegenüberliegende Straßenseite. Jemand kam mit einem » Mein herzliches Beileid, wie geht es Ihnen? « auf sie zu, und sie beeilte sich, hinter der Hausecke zu verschwinden.
    Der Wind fuhr kalt über ihre schweißnasse Haut. Mit einer Hand stützte sie sich am Zaun ab, fühlte das feuchte, morsche Holz, das unter ihren Fingern zu zerbröckeln drohte wie ihre sorgfältig aufgebaute Fassade der Selbstbeherrschung. Sie hatte sich im Griff, während der Totenmesse, unter den gesichtslosen Gästen, beim Anblick des Grabsteins von der Größe einer Butterdose. Sogar, als die Mutter ihn wie ein Baby im Arm zum Grab getragen hatte.
    Die Schaukel an dem Baum, der unzählige Attentate ihrer Mutter auf sein Leben überdauert hatte, wiegte sich sanft im Wind. Die Zeit hatte eines der Seile ausgefranst, irgendwann wurde auch das blanke Sitzbrett zu schwer, und nun schabte die Kante über die Erde. Ihr Stiefpapa hätte sie längst repariert, wäre er noch am Leben gewesen. Nun war auch Céline nicht mehr da, die sich darüber hätte freuen können.
    Hoch mit dem Wind …
    Hoch mit dem Wind! Céline jauchzt und wirft die Hände in die Höhe. Leah stößt die Schaukel an. Die Party bei Mandy wird ohne sie steigen müssen. Dabei war sie nur nach Hause gekommen, um ihre Sachen abzulegen. Doch die Mutter war nicht da, und Céline, ihr kleines, hässliches Entlein, spielte allein im Laufstall in dem stillen, wie ausgestorbenen Haus.
    Mehr! Mehr! Mehr! Noch ein Stoß, dann läuft Leah auf den Hügel hinter dem Klettergerüst. Von hier aus kann sie die Lichter in Mandys Haus sehen. Ob Tom schon auf der Party ist? Ob er gerade eine andere anlächelt?
    Leah, mehr!
    Sie stieß das Sitzbrett an. »Hoch mit dem Wind, mein hässliches Entlein. Flieg hoch mit dem Wind.« Das Brett schwang ein paarmal hin und her, dann bremste die Erde es ab und lehrte
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