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Im Visier des Todes

Im Visier des Todes

Titel: Im Visier des Todes
Autoren: O Krouk
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das ihre Beine emporkroch und ihren Körper eroberte. Die Gliedmaßen wurden schwer.
    Fotos. Von Céline. Ein stummer Schrei um Hilfe.
    Klick-klack, dein letztes Blitzlicht.
    Leah ließ alles fallen. Sie besaß keine Kraft mehr, die Bilder festzuhalten. Weder in den Händen noch in ihrem Kopf. Sie ließ die Welt los, und ihr Körper erschlaffte.
    Sie wusste noch, dass sie fiel.
    Dass fremde Arme sie auffingen.

3
    Noch einen Augenblick verharrte seine Handfläche auf der dunklen Rinde, fühlte sich in jede Furche, in jede Hervorhebung ein. Ein zum Winterschlaf verspäteter Käfer krabbelte wie ein Miniatur-Landrover über die Borke, streifte seinen Daumen mit einem Fühler und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Seine Hand … und ihr Profil, nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, ihr Haar, von seinem Atem bewegt, die Rinde des Baumstamms im Hintergrund …
    Jetzt – nur noch seine Hand. Einsam und allein.
    Er fragte sich, warum er ausgerechnet jetzt über die Einsamkeit nachdachte. Es waren nicht die ersten Tränen, die er aufeinem hübschen Gesicht gesehen hatte. Aber sie waren so still. Fast, als hätte sie gar nicht geweint, und er hatte es trotzdem gesehen.
    Die Terrassentür öffnete sich mit einem Geräusch, als wäre ein Vogel gegen die Scheibe geflogen und hätte sich dabei das Genick gebrochen. Zwischen den mit Planen abgedeckten Gartenmöbeln stöckelte eine Frau hervor und wühlte in ihrer Handtasche.
    Kay ließ den Arm sinken.
    Sie hatte ihn wahrgenommen und nickte ihm zu, angelte sich eine Zigarette aus der Packung und suchte weiter nach dem Feuerzeug.
    Dann hatte sie ihn erkannt.
    Der komplette Enthusiasmus ihrer jungen Jahre entlud sich in einem einzigen Wort: »Kay!«
    Mit wahrer Hingabe schob sie ihm ihre Idealmaße entgegen. »Kay! Kay Gordon!« Sätze mit seinem Namen endeten oft in einem Ausrufezeichen-Schluckauf. »Dass ich dich ausgerechnet hier treffe! Unglaublich!«
    Beerdigungen versprachen Frieden, gaben einem die Kraft, über die Schuld, selbst noch am Leben zu sein, hinwegzukommen. Nur ihm nicht. Denn ausgerechnet die Beerdigung, die ihm Frieden hätte bringen sollen, die hatte es nie gegeben.
    Als die junge Frau noch einen Schritt auf ihn zu machte, wich er dem ankommenden Bussi-Bussi aus. »Ich wollte gehen.«
    »Wusste gar nicht, dass du Céline kanntest!«
    Er kannte das Eismädchen. Durch den Sucher seines Fotoapparates, ihre Posen, nach seinen Vorstellungen geformt. Er kannte den Nachruf. Nicht das trockene » Wir trauern um unsere Tochter und Schwester … « , sondern die wenigen Zeilen, die ihm plötzlich so viel bedeuteten.
    Du hast den Geruch von frischem Schnee geliebt. Du hast die Schneeflocken auf deine Hände herabsinken lassen. Du hast mir gesagt, dass ich dir den Frühling geschenkt habe. Verzeih mir, dass ich dich vor dessen Gewittern nicht schützen konnte. Leah.
    Als hätte er die Schuld, am Leben zu sein, mit jemandem geteilt. Mit Leah.
    Die junge Frau kicherte, zündete sich die Zigarette an und blies ihm den Rauch entgegen. »Ich habe mir das Haar blond gefärbt. Früher war es braun. Jetzt erinnerst du dich an mich?«
    »Nein. Wie ich schon sagte: Ich wollte gehen.«
    »Aber das Maisfeld! Du hast gesagt, ich wäre gut, passte aber nicht zur Kulisse … Na ja … «– sie kräuselte die Lippen und fuhr sich durch die Strähnen –, »wie gefällt dir nun das Platinblond? Sei ehrlich!«
    »Ich sehe keinen Mais hier.« Er suchte nach dem Autoschlüssel. In seiner Hand häuften sich Visitenkarten, Kassenbons und – ein Rollfilm aus einer Analogkamera.
    Die nie entwickelten Bilder schrien ihn an.
    Ruhe in Frieden …
    »Was ist drauf?« Der platinblonde Schopf deutete auf seine verkrampfte Faust.
    Er steckte den Rollfilm zurück in die Manteltasche. »Naomi Campbell beim Zähneputzen.«
    Der Zigarettenrauch folgte ihm, auch dann, als er um die Ecke gebogen war. Er blieb stehen, schaute auf.
    Leah.
    Die Wimpern gesenkt, hatte sie den Blick auf einen Luftpolsterumschlag in ihren Händen gerichtet. Die sanften Schatten der Buche der Nachbarn huschten über ihr Gesicht. Er hätte die Schatten gern zum Stillhalten gebracht, um ihre Wangenknochen zu betonen, die Augenpartie und vor allem die Lippen.
    Ihr musste kalt sein. In der strengen Hemdbluse, dem Rock mit den Volant-Reihen, schwarz-rot und so bauschig, als hätte sie dafür einer Flamenco-Tänzerin zu eindrucksvoll gezeigt, wo die Kastagnetten hängen, und den Pumps. Er schmunzelte. Für die besonders viel Mut
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