Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Visier des Todes

Im Visier des Todes

Titel: Im Visier des Todes
Autoren: O Krouk
Vom Netzwerk:
sie an den Klang eines Cellos, der sie berührte und etwas in ihrem Inneren zum Vibrieren brachte. Und genau den Frust der Unerreichbarkeit weckte, der sie einst dazu gebracht hatte, den Cellounterricht aufzugeben. Als die Lehrerin ihr den Unterschied zwischen Streichen und Sägen genauer erklärt hatte.
    »Gänsepastete.«
    »Leah? Leah!« Der Wind fiel über sie her. Er brachte die Stimme der Mutter mit sich und ein schlechtes Gewissen. Sie hatte sich vor langer Zeit versprochen, ihre Mutter nicht alleinzulassen. Und ausgerechnet heute wich sie ihr aus und flüchtete in die Geborgenheit, die ihr ein Fremder schenkte. Den Rücken gegen die Rinde gedrückt, holte sie tief Luft und schaute zu den Zweigen auf. »Ich wollte es so oft wie Céline: einfach abhauen und mit beiden Händen nach Träumen greifen.«
    Der Mann lehnte sich mit einer Schulter gegen den Baum und neigte den Kopf zum Stamm. »Was hat Sie davon abgehalten?«
    Sie sah eine kastanienbraune Haarsträhne, die wie ein Schatten auf seine blasse Schläfe fiel, feine Fältchen, die wie eine ferne Erinnerung an sein Lachen um seine Augen lagen, betrachtete den Schwung der Lippen, den geöffneten Knopf seines Hemdkragens, die Mulde zwischen dem Schlüsselbein und dem Hals …
    »Leah! Hörst du mich?«
    … viel tiefer sollte ihr Blick jetzt lieber nicht wandern …
    Ihre Wangen erglühten. Ganz klasse. Ein wenig von seinem Timbre, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt – und schon machte das Weibchen in ihr Männchen. Ausgerechnet auf der Trauerfeier ihrer Schwester – die allerdings schon immer dafür plädiert hatte, jede Gelegenheit beim Schopfzu packen. Besonders, wenn es um attraktive Männer ging. Wer hätte gedacht, dass diese Lektion auf fruchtbaren Boden fallen würde. Und das bei ihr, der absoluten Flirt-Allergikerin, die ihren letzten festen Freund noch zu Unizeiten vergrault hatte.
    »Es war gar nicht so unbequem auf dem Baum.« Sie hörte ein Lächeln in seiner Stimme.
    »Leah!«
    »Das Laub ist noch dicht genug, um Sie vor den anderen zu verstecken.«
    »Leah, wo bist du?«
    Unmöglich noch bei ihrem Verstand, im Hier und Jetzt. Rasch schaute sie weg, während sie nach wie vor den Blick des Fremden wie den Hauch einer Berührung spürte.
    »Ich sollte lieber gehen.« Es klang fast mit der gleichen Begeisterung, wie sie » Sozialversicherungsfachangestellte « über die Lippen brachte, wenn jemand sie nach ihrem Beruf fragte. Hierzubleiben war viel zu verlockend. »Ich fürchte, selbst dieser Baum bietet zu wenig Schutz vor meiner Mutter.«
    Die Absätze ihrer Pumps blieben fast bei jedem Schritt im Rasen stecken, als sie fortlief. Großartig. Jetzt brauchte sie nur noch einen Schuh zu verlieren. Cinderella Flip-Flop.
    »Leah, bist du hier?« Gleich würde die Mutter um die Ecke kommen, ihr Parfüm hatte sie schon einmal vorausgeschickt. Leah beeilte sich, der Stimme entgegenzukommen, ließ den Fremden und die Gedanken an ihn zurück wie ein kleines Geheimnis, das nur ihr gehörte.
    »Kleines, da bist du endlich. Du kannst doch nicht verschwinden und mich mit all dem alleinlassen. Die Leute da drin … « Die Mutter machte eine schwache Geste zum Hauseingang, als gerade eine junge Frau auf sie beide zukommen wollte und doch noch unter dem Vordach stehen blieb. »Was hast du hier draußen nur gemacht? Ach, du meine Güte! Du warst mit Poul im Hinterhof? Ich … Dummerchen, ich wollte euch natürlich nicht stören. Tut mir leid. Tut mir leid, geh doch zu ihm, ich bin gleich auch schon wieder weg.«
    »Ich war nicht mit ihm dort.«
    Etwas quietschte und klapperte die Allee entlang. Hinter der Hecke der Nachbarn tauchte wieder der Obdachlose auf, in speckiger Steppjacke und Shorts. Die dürren Beine steckten in ausgelatschten Boots, mit denen er über den Asphalt schlurfte.
    »Hab euch auf der Treppe gesehen. Er braucht dich. Und du ihn bestimmt auch. Geh, Liebes, geh, ich schaffe es schon allein, wie ich immer und immer alles hier … «
    »Mutter! Ich war nicht mit Poul da.«
    Die prallen Tüten an der Seite des Einkaufswagens schabten an den dicht geparkten Fahrzeugen entlang. Hinter der Hecke wütete der Nachbarshund. Ein Pärchen wich dem Einkaufswagen aus. Mit einer Faust drohte der Obdachlose den beiden hinterher. »Ja, trollt euch, trollt euch«, krächzte er. »Klick-klack, schönes Flittchen. Klick-klack, dein letztes Blitzlicht, hier. Er hat sie alle.«
    Der nächste Windstoß presste beinahe die ganze Luft aus ihr. Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher