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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Häuser in Brand. Was Pater Felix sie mühevoll gelehrt hatte – Menschenwürde, Liebe zum Nächsten, Vergebung des Bösen, das Gefühl der Brüderlichkeit – alles zerstob in dem einzigen, übermächtigen Wunsch nach Rache. Rache für die Jahre der Knechtschaft, der Sklaverei, des Schuftens auf den glühenden Hanf- und Peyotl-Feldern, Rache für den Hungerlohn, für die hündische Kriecherei, die man von ihnen verlangt hatte, Rache für jeden Schlag, für jeden Tritt, für jeden Fluch, für jeden Tropfen Schweiß. Rache für die Jahrhunderte, in denen der Indio zum Fußschemel des Weißen geworden war. Rache für alles! Man kann es nicht aufzählen – es gab zuviel zu rächen.
    Vom Becken kam Pater Felix zurück. Er hatte die Peitschen weggeworfen, die Stola abgenommen und zusammengeknüllt hinter den Patronengurt gesteckt. Er sah schrecklich aus, um Jahre gealtert, knochiger als zuvor, als sei ihm das Fleisch vom Skelett gefallen. Mit einer müden Geste lehnte er sich neben Paddy an den Aufbau des Geländewagens.
    »Ich kann sie nicht mehr halten«, sagte er. »Es sind nicht mehr meine Christen. Meine Hände sind leer, alles in mir ist leer. Ich habe versagt.«
    »Das wundert Sie?« höhnte Paddy. »Haben Sie etwa geglaubt, mit einem Gesangbuch ändern Sie die Gehirne?«
    »Halten Sie endlich die Schnauze!« schrie Dr. Högli. Ein maßloses Mitleid mit Pater Felix hatte ihn erfaßt. Er legte den Arm um seine Schulter, und der Priester warf den Kopf zur Seite, drückte ihn an Höglis Brust und begann zu schluchzen. Sein Zusammenbruch war vollkommen, so vollkommen, wie in diesen Stunden Santa Magdalena unterging.
    Die Häuser der Capatazos standen in hellen Flammen, die Frauen rannten schreiend in den weiten Park, Gruppen johlender Indios, klatschnaß, mit Eimern in den Händen, sich immer wieder mit Wasser übergießend, zogen zu den Materialschuppen, sprengten die Tore auf und zerschlugen die Maschinen.
    Erst jetzt kam es Dr. Högli zu Bewußtsein, daß Paddy wieder bei ihnen war. »Ich denke, Sie sind im Haus?« sagte er. »Ich habe Sie gar nicht zurückkommen sehen.«
    »Ich wollte telefonieren. Aber die Leitung ist bereits tot. Doktor, wir sollten versuchen durchzubrechen! Wir müssen durch! Wir haben hier wirklich nichts mehr zu verlieren!«
    »Das habe ich von Ihnen erwartet! Sehen Sie sich um: Man jagt Ihre Mexikaner wie die Hühner! Es sind Ihre Leute, Paddy! Sie haben für Sie gearbeitet, haben Ihre Befehle ausgeführt! Sollen sie jetzt für Ihre Gemeinheit büßen?«
    »Was soll ich tun!« rief Paddy. »Soll ich mich auf den Platz stellen und brüllen: ›Laßt sie in Ruhe! Zerhackt mich dafür!‹«
    »Schön wär's.« Dr. Högli drückte den schluchzenden Pater Felix enger an sich. »Vielleicht bin ich ein Narr – aber ich flüchte nicht. Jetzt nicht! Ich bin vor Ihnen nicht ausgerissen, ich laufe auch nicht vor diesen entfesselten Indios davon! Wissen Sie, was morgen hier los ist? Da stehen sie wieder in langen Schlangen vor dem Hospital und warten auf ihren Doktor. Sie brauchen mich dann mehr denn je. Sie werden die Verwundeten und die Sterbenden bringen, die Ambulanz wird überfüllt sein mit Menschen, die sich in Magenkrämpfen krümmen. Ich werde überall sein müssen – im Hospital, im Dorf, hier bei Ihnen. Es ist keiner da, der ihnen helfen kann – nur ich! Und wenn sie hier alles vernichten und sich in ihrem Rausch gegenseitig die Schädel einschlagen – ihren Arzt werden sie nie anrühren! Erwarten Sie nicht von mir, daß ich mich davonschleiche!«
    Er wollte noch etwas sagen, und auch Paddy hatte eine grobe Entgegnung auf den Lippen, als ein gewaltiges Krachen sie zusammenfahren ließ. Es war, als erbebten die Felsen, als habe der Himmel eine riesige Bombe in den Kessel geworfen und sprenge die Berge auseinander. Der donnernde Klang blieb über Santa Magdalena hängen und schallte als vielfältiges Echo knatternd zurück.
    Mit diesem Donnerschlag aber zerplatzte auch der Rausch der Indios. Wie festgenagelt blieben sie stehen, starrten nach oben und rissen die Münder auf. Jegliche menschliche Stimme erstarb, nur das Prasseln der Feuer blieb, nachdem der Donner verebbt war. Gleichzeitig öffnete sich der Himmel. Und das war kein Regen mehr, der herunterrauschte, es war ein einziger massiver Wasserschwall, der auf die Menschen klatschte, ein Meer, das aus den Wolken fiel.
    Pater Felix riß sich von Dr. Högli los. Er rannte in die Mitte des Platzes, legte den Kopf in den Nacken und
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