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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich gegen den Wind, der aus den Felsen herabfiel wie unsichtbare Fauststöße. Um das Kreuz, das aufrecht vor ihnen herschwankte, hatten sich die Einwohner von Santa Magdalena geschart, Frauen und Kinder, Männer und Greise. Wenn auch die Welt im Wasser ertrank, nachdem Gott sie erst ausgedörrt hatte – hinter dem Kreuz fühlten sie sich geborgen. Jetzt besaßen sie nichts mehr als ihren Glauben. Von den Bergen donnerten die Geröll-Lawinen, lief der Talkessel von Santa Magdalena voll aus unzähligen brüllenden Wasserfällen, die plötzlich aus allen Felsspalten schossen.
    Schart euch um das Kreuz, Amigos! Ganz nahe heran! Blickt auf den Gekreuzigten! Er wird uns herausführen aus Not und Vernichtung!
    So zogen sie über die Straße, eine um das Kreuz zusammengeballte, vom Regen betrommelte Masse Mensch, blickten nicht nach rechts, nicht nach links, wo die Berge aufbrachen, marschierten zurück und an ihrem Dorf vorbei, in dem das gurgelnde Wasser schon hüfthoch stand – gelbes Wasser mit Felsbrocken dazwischen, immer aufs neue aufklatschend, wenn die Geröllflut sich in den Kessel warf – und sie dachten nur daran, daß dort unten in den vertrauten Steinhütten, in denen geboren, geliebt, gelebt und gestorben worden war, vierundzwanzig Alte und Cholerakranke ertranken. Gott nehme ihre Seelen gnädig auf.
    Weiter, weiter, Amigos! Zur Kirche! Im Hause Gottes wird uns Gott nicht vernichten.
    Gleich hinter dem Kreuz ging Matri. Sie trug den Säugling einer Frau, die schon wieder hochschwanger war und das Kind nicht mehr auf dem Rücken schleppen konnte. Auch Paddy hatte sie eingeholt. Schreiend war er den Indios nachgelaufen, das Wrack von einem Mann, der vor ein paar Stunden noch der große Herr gewesen war, der Gott, der Santa Magdalena dirigierte nach seinem Willen. Die Indios hatten ihn aufgenommen, ließen ihn bis zum Kreuz durch und schlossen ihn dann in ihre Mitte ein, als sei er einer der ihren.
    »Matri –«, stammelte Paddy. »Matri, mein Liebling!« Er schwankte neben ihr, stützte sich auf einen vor ihm gehenden Indio. »Du lebst! Du hast es geschafft. Matri!«
    Dann tappte er weiter, arm wie alle, vernichtet wie sie alle, nur froh, daß er noch lebte, wie jeder in dieser Masse Mensch.
    Die Träger wechselten. Tenabos Stellvertreter, der Vorarbeiter Jorge Cuelva, stieß Paddy an. Sein Gesicht war von Ruß verschmiert, er hatte noch versucht, den Brand seines Hauses zu verhindern, als die entfesselten Indios ihre Fackeln in die Capatazo-Häuser schleuderten. »Sie auch, Patron!«
    »Ich kann nicht!« Paddy wankte. »Ich kann doch kein Kreuz tragen …«
    »Dann bleiben Sie zurück, Patron!« sagte Cuelva hart. »Gehen Sie allein! Wir sind Brüder und Schwestern. Aber Sie gehören nicht zu uns!«
    Paddy nickte stumm. Er schob sich nach vorn, vier Mexikaner hielten das Kreuz fest, ein starker Indio schnallte den breiten Lederköcher ab und legte ihn Paddy um. Dann hoben sie das Kreuz hinein und stützten es ab. Die ganze Schwere traf Paddy allein. Einen Augenblick hatte er das Gefühl, sein Rückgrat zerbreche. Aber dann straffte er sich, schlug beide Hände um das Kreuz, und plötzlich erinnerte er sich an seine bullige Kraft, an alles das, was einmal einen Jack Paddy ausgemacht hatte.
    »Vorwärts!« brüllte er. »Das ist ein Wettlauf, Leute! Vorwärts!«
    Über die Straße rauschten bereits Wasserfälle. Sie durchquerten sie, das Kreuz immer aufrecht haltend. An der Gabelung zum Dorf floß ein Strom aus gelbem Geröllwasser, sie durchwateten ihn – und der bunt bemalte Christus blieb oben.
    Er blieb oben, bis sie die Kirche sahen. Hinter ihnen krachte und brach es. Die Straße, die sie eben verlassen hatten, wurde unter einem Bergrutsch begraben. Eine Welle von Steinen folgte ihnen erreichte sie, traf die letzten Reihen, aber tötete sie nicht. Das Schreien der Verletzten übertönte Regen und Donnern, und unter diesem Schreien – das Kreuz senkrecht über ihren Köpfen – erreichten sie die Kirche. Dort nahm man Paddy endlich den Christus ab, stellte ihn auf den Boden und drehte ihn zu Santa Magdalena hin.
    Herr, sieh, wie dieses Dorf ertrinkt! Herr, segne uns nach diesem Unglück! Herr, warum mußte das sein?
    Nach einer Stunde erreicht die Wasserflut auch die Kirche. Die Menschen in den Bänken beteten, das Wasser stieg, erreichte ihre Knie, ihre Schenkel.
    Wohin noch fliehen? Es gab keinen Platz mehr auf dieser Welt für Santa Magdalena. Gott ertränkte sein eigenes Haus. Faßt euch an die
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