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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schmierte eine zähe, weiße Salbe über die Wunden, die desinfizierte und gleichzeitig die Granulation förderte. An einem Instrumententisch bereitete die Schwester alles für eine Naht vor. Die große Fleischwunde mußte genäht werden. Högli sah nicht die Instrumente, aber überdeutlich hörte er das Klappern der Nadelhalter.
    »Schaffst du das, Juan?«
    »Ich habe lange genug zugeschaut, Chef.«
    »Es ist deine erste Naht!«
    »Sie wird besonders schön werden.« Die Schwester begann, das eingeschmierte Bein mit Binden zu umwickeln. »Dann gehe ich, Chef«, sagte Juan.
    »Wohin?«
    »Weg. Ich weiß noch nicht, wohin. Vielleicht nach Chihuahua. Wer von Ihnen kommt, kriegt in jedem Krankenhaus eine Stelle.«
    »Jetzt, wo alles zusammenbricht, willst du gehen!« Dr. Högli lächelte, obgleich ihn der Schmerz durchzuckte. Juan-Christo nähte ohne Betäubung. Alles nach meinem Befehl, dachte Högli dabei. Nur im Notfall die Narkosemittel einsetzen, in ganz dringenden Fällen, wir haben nur noch ein paar Packungen. Ich bin kein dringender Fall. Und Juan-Christo geht, weil ich ihn rausgeschmissen habe. Meine Indios!
    »Wenn der Regen vorbei ist, haben wir genug zu tun, Juan-Christo!« sagte Högli zwischen zusammengepreßten Zähnen. So ist das, dachte er. Zu den Patienten sagen wir immer: »Es tut doch nicht weh! Reißen Sie sich zusammen!« Aber wenn wir selbst Schmerzen haben, könnten wir an die Decke gehen! »Hier muß aufgeräumt werden, Juan, nicht in Chihuahua!«
    »Ich verstehe, Chef.«
    Neun Stiche zählte Dr. Högli. Eine ganz schöne Wunde. Mein Gott, wie langsam der Kerl näht! Dagegen bin ich eine elektrische Nähmaschine. Aber es soll ja eine besonders schöne Naht werden …
    »Wie geht es meiner Frau?«
    »Sie ist ruhiger geworden, Chef. Der Pater ist bei der Señora …«
    »Schreit sie noch?«
    »Nein. Sie hat nur nach Ihnen gefragt …«
    »Ich gehe gleich zu ihr.«
    »Wir rollen Sie hinüber, Chef.«
    »Ich gehe, habe ich gesagt!« rief Högli. »Auf meinen Beinen gehe ich!«
    »Schön ruhig, Doktor«, sagte Tenabo hinter ihm und bettete Höglis Kopf in seine Schaufelhände. »Brav ruhig liegen, Doktor.«
    Nach einer halben Stunde war alles vorüber. Höglis Beine waren bis über beide Knie mit einem dicken Stützverband umwickelt. Die Salbe kühlte, es war angenehm, die Schmerzen verteilten sich und wurden erträglicher. Dr. Högli schnippte mit den Fingern der rechten Hand.
    »Tenabo, du Nashorn, laß mich los!«
    »Darf ich, Juan?« fragte der Fleischberg.
    »Jetzt ja.«
    »Bitte, Doktor!«
    Die Handklammer zog sich von Höglis Kopf zurück. Er setzte sich auf den Tisch und betrachtete seine umwickelten Beine.
    »Das habt ihr schön gemacht!« sagte er. »Jetzt muß ich gehen wie eine Marionette.«
    »Es sind auch beide Knie aufgeschlagen, Chef«, sagte Juan-Christo. Sein dunkles Mestizengesicht glänzte vor Schweiß und Freude. Er durfte bleiben, sein Chef verzieh ihm. Der Regen wusch alles weg …
    Die glühende Sonne, der große Durst hatte sie alle zusammengebacken. Jetzt kam das Wasser und wusch alle Ecken glatt.
    Aus den Bergen donnerten die Erdlawinen ins Tal. Man hörte sie deutlich, der Boden zitterte bis zum Hospital hin. Ganze Bergwände stürzten unter dem Druck des Wassers zusammen, das in sie eindrang und sie von innen aufsprengte.
    Dr. Högli schob sich vom Tisch, stützte sich auf Juan-Christo und stakste dann hinüber zu seiner Wohnung. Pater Felix saß an Evitas Bett und verzog das Gesicht, als er Högli sah. Unter den Fetzen der an den Oberschenkeln abgeschnittenen Hose begannen die weiß umwickelten Beine. Vom Gürtel an war Högli lehmiggelb, der Schlamm war getrocknet und klebte nun an ihm.
    Evita warf sich auf die andere Seite. Sie starrte Högli an.
    »Riccardo …« stammelte sie. »O Gott … Riccardo …«
    »Ich geh!« Högli machte ein paar lächerliche steife Schritte. »Mit meinen eigenen Beinen gehe ich! Es ist nichts, Evita, gar nichts! Sieh dir das an!«
    »Wir sehen es.« Pater Felix grinste breit. »Riccardo, du gibst eine gute Clownnummer ab.«
    Manche Worte können befreien, als zertrümmere man jahrelang getragene Ketten.
    Das Kreuz mit dem bunt bemalten Christus erreichte tatsächlich noch die Kirche. Er schwamm nicht, wie Högli gesagt hatte, über dem ertrunkenen Dorf Santa Magdalena. Die acht Capatazos, die es von Paddys Hacienda wegschleppten, immer einander abwechselnd, vier trugen, vier gingen in Reserve, kämpften sich durch den Regen und stemmten
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