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Im Tal der bittersüßen Träume

Im Tal der bittersüßen Träume

Titel: Im Tal der bittersüßen Träume
Autoren: Heinz G. Konsalik
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breitete die Arme weit aus. So stand er im rauschenden Regen, wie ein paar Meter neben ihm der Gekreuzigte, und Hunderte von Augen starrten ihn an.
    »Zu spät!« brüllte Felix Moscia in den Himmel. Ein neuer Blitz und ein neuer Donner zerschnitten seine Stimme. »Zu spät, Gott! Zu spät! Was sollen wir jetzt anfangen mit Deiner Güte?«
    Er machte ein paar unsichere Schritte, griff sich ans Herz und sank zu Boden. Dr. Högli und drei Mexikaner rannten zu ihm, hoben ihn auf und trugen ihn zu Paddys Geländewagen. Sie schoben ihn auf die Ladefläche und sprangen hinterher. Gleichzeitig legte Evita, die hinter dem Steuer saß, den Gang ein und gab Gas. Paddy sprang mit einem gewaltigen Satz aus dem Weg.
    »Halt!« brüllte er. »Evita! Halten Sie an! Nehmen Sie mich mit! Halt! Ich habe die Cholera! Ich habe die Cholera …«
    Er rannte dem Wagen bis zum Tor nach, stolperte über die Trümmer des Karrens, unter dem man Pierre Porelle zertrampelt hatte, schlug hin, riß sich die Stirn auf und sprang wieder hoch. Zwei Capatazos, die ihn zurückhalten wollten, schleuderte er zur Seite, aber den davonrasenden Wagen erreichte er nicht mehr.
    »Ich bin doch krank!« stammelte er. »Doktor! Ich bin doch krank! Sie Saukerl von einem Arzt, Sie können mich doch nicht alleinlassen!«
    Hinter ihm drängten die Indios durch das Tor. Ruhig, wie durch den Donner und den Regen aus einem Trancezustand geweckt, gingen sie zurück nach Santa Magdalena. Die Männer hielten ihre Frauen an den Händen, die Mütter trugen ihre Kinder auf dem Arm. Sie nahmen ihre Eimer und Tonkrüge wieder mit. Sie waren leer. Man brauchte kein Wasser nach Hause zu schleppen; der Himmel übergoß sie, als sollten sieben Monate in einer Stunde nachgeholt werden.
    Sie überholten Jack Paddy, aber niemand tat ihm etwas. Sie gingen an ihm vorbei, als hätten sie ihn gar nicht wahrgenommen.
    Als letztes verließ das Kruzifix die Hacienda. Die Capatazos hatten sich um den bemalten Christus geschart, auch sie mit ihren Frauen und Kindern, vier Mann trugen ihn, vier andere gingen daneben, um es zu übernehmen, wenn die Träger es nicht mehr halten konnten.
    »Wir bringen es zur Kirche zurück!« hatte der Vorarbeiter gesagt, der die Stelle von Antonio Tenabo eingenommen hatte. »Wir alle! Wir werden in der Kirche wohnen.«
    Hinter ihnen zischten die Flammen ihrer Häuser im prasselnden Regen. Weißer Dampf stieg in die Nacht. Der Scheinwerfer, von seinem Betreuer verlassen, brannte noch immer auf dem zweiten Wachtturm. Er beleuchtete den leeren Platz vor dem Herrenhaus, die Trümmer der Karren und Wagen, die weggeworfenen und zerstörten Möbel, die kahlen Fensterhöhlen, den toten Pierre Porelle, den man an die Palisade getragen und dort vergessen hatte, und die beiden Peitschen, die neben zerfetzten Kleidern lagen.
    Der Regen trommelte auf die Erde. Aus den Bergen kam ein dumpfes Grollen und Rauschen. Über die Felsenwände stürzten Wasserfälle … was gestern noch verdorrt war, schien sich aufzublähen, zu platzen, Wasser auszuspucken. Von allen Seiten floß es in das Tal, sandgelbe Fluten, Geröll und Erde mit sich reißend. Die Berge wurden zu Schwämmen, aus deren Poren das Wasser rauschte.
    Evita schaffte es gerade noch, mit Paddys Geländewagen das Dorf zu durchqueren. Sie erreichte das Hospital, bevor aus den Felsenspalten die reißenden Fluten in den Kessel stürzten.
    Im Hospital brannten alle Lichter. Auch hier hatte der Regen Jubel ausgelöst. Die drei Indioschwestern und der zurückgebliebene zweite Krankenpfleger hatten Bettlaken in den Regen gehalten und sie dann in den Krankenzimmern verteilt. Weinend vor Freude hatten sich die Kranken in die triefenden Tücher gerollt, hatten das Wasser aus dem Stoff gesaugt, und wer gehen konnte, nahm alle Kraft zusammen und schwankte ins Freie.
    Regen! Regen! Nach sieben Monaten Durst fällt uns das Wasser in den Mund.
    Antonio Tenabo und Emanuel Lopez, der Pilot und Polizeisergeant, waren wie die anderen hinausgelaufen, hatten sich wie Kinder an den Händen gefaßt und waren durch den Regen getanzt.
    Jetzt saßen sie auf der Bank im Freien, ließen sich durchweichen und genossen es, durch und durch naß zu sein. Als sie die Lichter von Paddys Wagen in der Dunkelheit auftauchen sahen, tanzten sie wieder herum und schwenkten wie verrückt die Arme durch die Luft.
    Der Wagen bremste mit wildem Quietschen. Dr. Högli und Evita sprangen heraus, vier andere Gestalten sprangen hinten vom Wagen und hoben Pater Felix
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