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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai
Autoren: Emile de Turckheim
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    Mein Vorname ist Aimé. Das heißt Lieber, hat aber nichts zu sagen. Ihr werdet schon sehen, ich kann keine Geschichten erzählen.

    Bei uns war alles ruhig, und plötzlich ist es wie Herbst. Wie in dem Drecksmonat November, wenn die Zimmer im Ersten vermietet sind und die Gäste noch vor der Sonne aufstehen, um mit Blei auf Tiere zu schießen. Wieviele Pariser kommen? Ich sage Pariser, weil so, wie die ausschauen, sind die aus der Stadt, vielleicht nicht Paris, sondern einer öden Kleinstadt, einem blöden Kaff, aber eben aus der Stadt. Abdallah hat sie mit dem Wagen vom Bahnhof geholt und beim Gemüsegarten aussteigen lassen, damit er sich die Reifen nicht dreckig macht. Den Rest könnt ihr zu Fuß weitergehen, hat er gesagt, aber passt auf, dass ihr euch nicht die Schuhe ruiniert. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele sind. Ein, zwei vielleicht, aber nein, alle auf einmal. Martial ist für Wegschicken, sie sollen sich verziehen und nach dem Sommer wiederkommen. Aber es ist schon fast dunkel. Wir schauen morgen weiter, Martial, sag ich zu ihm, ärger dich nicht über die Hirnschüssler. Pariser – Hirnschüssler, so heißt es bei uns. Da ist er beleidigt. Aber das war doch so geplant, Martial!, sag ich zu ihm. Wir haben die Betten ja nicht umsonst gemacht! Drei Betten, Martial! Gott sei Dank ist er ein Faulpelz. Er denkt also nach und schaut, als wenn ihm das Ganze viel zu vertrackt ist, dann sagt er, hast Recht, Aimé, wir haben die Betten ja nicht umsonst gemacht. In Wirklichkeit hat er es nicht genauso gesagt, weil gestottert. Und dann hat der Sturschädel doch noch was gefunden, was er gegen die Hirnschüssler sagen kann, wie sie nur noch so zehn, fünfzehn Meter von der Haustür weg waren und durchs Fenster immer größer geworden sind. Und wisst ihr, was er gesagt hat? Nicht mal durch den Dreck gehen können die. Und Recht hat er. Du musst schnell durch den Dreck gehen, sonst steht dir der Dreck auf den Füßen. Ich hab ihm ins Ohr geflüstert: »Wir müssen freundlich sein zu den Gästen, damit Monsieur Louis seine Freude hat. Weil wenn du nicht auf Monsieur Louis hörst, ist deine andere Seite auch bald hin.« Da war es dann auf einmal besser, und er hat kein Wort mehr gesagt, nur Sorgenfalten gemacht. Und wenn ich sage kein Wort, dann meine ich auch kein Wort, kein Guten Tag, kein Hatten Sie eine angenehme Reise, kein Folgen Sie mir bitte in den ersten Stock, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Jetzt kann ich denen alles allein erklären. Schöner Mai das! Armer Martial! Ihr müsst das verstehen: Immer wenn neue Leute durch die Tür kommen, glotzen ihn neue Augen an. Es sind fünf, den kleinen Dicken hab ich erst übersehen, wenn man den Hund mitzählt, sind es sogar sechs, und warum soll man den Hund nicht mitzählen, frag ich mich, sechs Hirnschüssler also. Pech, dann müssen halt zwei in einem Bett schlafen. Gastfreundschaft ist es nicht, was uns fehlt, das schwör ich, es sind die Betten. Und genau besehen nervt mich der kleine Dicke. Warum muss dem sein Koffer zweimal so groß sein wie Herrn Truchon seiner, trotzdem er nur halb so hoch ist wie Herr Truchon? Können die Koffer nicht zur Statur der Leute passen? Den Herrn Truchon hab ich gleich erkannt, noch bevor er seinen Namen auf die Gästeliste geschrieben hat. Von dem war nämlich ein Foto auf dem Brief, den er geschrieben hat, als wenn er Angst hat, dass man ihn sonst verwechselt. Ich fühle mich sehr geehrt, hat er geschrieben, ich werde in Begleitung meiner Gattin anreisen, es ist mir in meinem großen Kummer immerhin ein Trost zu wissen, dass Louis Yoke so viel Wert auf meine Freundschaft … und so weiter und so fort, ich lese euch jetzt natürlich nicht den ganzen Brief vor, jedenfalls hat er mehr getrost gewirkt als bekümmert, der Herr Truchon, und ich finde es auch ausgesprochen taktvoll von ihm und seiner Frau, dass sie sich wirklich nichts von dem großen Kummer haben anmerken lassen, wie sie hergekommen sind. Ich hab keine Ahnung, wie lang die bleiben. Nicht mal gefragt. Nur das Nötigste im Haus gemacht, damit ich sie nicht husten höre. Das Haus wird immer sauberer und Martial immer kränker. Vor zwei, drei Tagen hat er auch noch angefangen, sich zu kratzen. Wie eine Krähe mit Flöhen. Tag und Nacht hat er sich gekratzt, ekelhaftes Geräusch das. Jetzt, wo alle da sind, finde ich, hat er fast was Würdiges an sich. Um sich ein bisschen zu trösten, hält er Katze Njama im Arm. Njama, so haben wir unseren kleinen Kater zum Spaß
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