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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai
Autoren: Emile de Turckheim
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wir nur dran. Den ganzen Tag und sogar in der Nacht, weil Martial nämlich nicht mehr schlafen kann, seitdem er Monsieur Louis so gefunden hat, erschossen mit einem Gewehr.«
    »Und doch, ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich muss auch an die Nachbarn denken, die Monsieur Louis sicher beneidet haben um seine Geschäfte und vielleicht auch etwas gegen die Stadtmenschen hatten, die die immer freitags angereist sind und Irrsinnssummen dafür ausgegeben haben, dass sie am Wochenende vielleicht ein Wildschwein vor die Büchse kriegen, das sie dann womöglich verfehlen.«
    »Nachbarn? Hier gibt es keine Nachbarn. Wir sind ganz allein! Schrecklich allein, Herr Wachtmeister, Sie können sich das gar nicht vorstellen!«
    »Natürlich, wie dumm von mir! Ich weiß auch nicht, warum ich mir eingebildet habe, dass es hier unbedingt Nachbarn geben muss. In der Stadt hat man immer Nachbarn. Aber hier sind Sie ja wirklich ganz allein.«
    Die Polizisten, die gut sind in ihrem Beruf, die sagen immer was oder sagen was nicht, was sie dann aber doch sagen, genau wie im Fernsehen. Aber wir sind auch nicht von gestern.
    »Aimé, nicht wahr?«
    »Je nachdem, was man drunter versteht, Herr Wachtmeister, aber heißen tu ich so.«
    »Wir sind uns schon einmal begegnet, Aimé, vor etwas über zwei Jahren. Können Sie sich erinnern?«
    »Nicht böse sein, Herr Wachtmeister, aber über die Jahre hab ich hier so viele zum Jagen kommen sehen ...«
    »Macht nichts, ich kann mich sehr gut an Sie erinnern! Und jetzt, Aimé, stehen Sie durch die Macht der Umstände von einem Tag auf den anderen ohne Arbeitgeber und ohne Arbeit da ...«
    »Ohne Arbeitgeber, da sag ich nichts, aber ohne Arbeit? Ich geb den Hühnern und den Schweinen Futter, ich geh mit dem Kescher durch den Teich, ich reche die Alleen, ich mach den Haushalt, ich kümmere mich um Martial, der manchmal schlimmer ist wie ein Kind, ich stelle Fallen auf für das Wild, ich putz die Gewehre für die Saison, ich koch die Suppe, ich gieß Monsieur Louis seinen Buchs, und wenn ich drüber nachdenke, arbeite ich sogar noch mehr als vorher, weil nämlich Monsieur Louis seinen Buchs immer selber gegossen hat.«
    »Tut mir leid, Aimé, ich wollte Sie nicht kränken. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Was ich damit sagen wollte, ist nur ... Es gibt keinen mehr, der Sie bezahlt.«
    »Ach, na ja, das Geld ...«
    Der Wachtmeister hockt direkt auf dem Grab von Monsieur Louis, aber weil es so finster ist, kriegt er das gar nicht mit. Er hat was von der Erde in die Hand genommen und macht sich wie ein Rotzlöffel die Finger dreckig.
    »Sie müssen sich keine Sorgen machen, wie es mit Ihnen weitergeht, Aimé. Das steht Schwarz auf Weiß im Testament.«
    »Dort steht Schwarz auf Weiß, dass ich mir keine Sorgen machen brauch?«
    »Dort steht, dass Monsieur Louis verlangt, dass Sie auf dem Gut bleiben, ungeachtet der Teilung, die die Erben beschließen.«
    »Und was ist mit Martial? Steht da auch Schwarz auf Weiß, dass er keine Angst haben muss?«
    »Martial? Das ist doch der Bursche, der ... Armer Kerl! Was ist denn mit dem passiert?«
    »Ah«, sag ich, »die Suppe ist fertig. Ich seh Martial schon winken!«
    Das geht die Polizei nämlich nichts an, warum Martial auf einer Seite gar nichts mehr hat, keine Haare, keine Lippen, kein Nasenloch, keine Wange, kein Ohr und kein Auge, nur Gummihaut mit Löchern drin.

3
    Alle haben ihren Teller leergegessen, und keiner hat was gegen die Suppe gesagt. Aber Martial will Komplimente hören, das kommt von der Selbstliebe. Selbstliebe ist, wenn man beschließt, sich selber zu lieben, damit einen wenigstens einer liebt. Sagt jedenfalls Lucette. Martial also wartet auf Komplimente und rührt sich nicht vom Fleck, bevor nicht irgendwer gesagt hat: Wer hat denn diese köstliche Suppe gekocht? Sie ist delikat, ich nehme gern noch etwas nach, vielen Dank.
    Auf einmal liegt so was Peinliches in der Luft, und die Uhr schlägt.
    Wachtmeister Lyon-Saëck klopft mit dem Finger auf das Tischtuch, und das hat er mir zu verdanken, dass er das kann, nicht Martial, weil der war nämlich dagegen, sieht doch viel einladender aus mit Tischtuch, hab ich gesagt, aber deswegen ist er ja dagegen gewesen, weil es einladender aussieht. Dann haben wir uns im letzten Moment noch geeinigt und ein schmutziges Tischtuch genommen. Herr Truchon kaut mit leerem Mund Luft, Frau Truchon verdreht die Augen und sagt zu ihrem Mann, du kaust Luft, wie wenn sie ihm das schon tausendmal am Tag
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