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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai
Autoren: Emile de Turckheim
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Louis nachmittags direkt aus der Flasche getrunken, ohne den Umweg über das Glas, und geschrien: »Dem Wodka merkt man das Wasser an. Das macht mich bestimmt wieder krank!« Und er war wirklich allergisch gegen das Wasser im Wodka, weil am nächsten Tag hat er sich nämlich den Bauch und den Kopf gehalten und geschimpft. Er hat immer viele Flaschen aufgemacht, aber nie ausgetrunken, weil er gemeint hat, davon wird man Alkoholiker. »Ich bin Jacques Lyon-Saëck. Ich bin kein junger Mann mehr, sondern schon im gehobenen Alter, und nicht so kokett, Ihnen nicht zu verraten, dass ich bereits siebzig bin. Meine Anwesenheit in diesem Hause ist mir allerdings rätselhaft. Die große Ehre, hier zu sein, steht mir sicherlich weniger zu als Ihnen allen.« Frau Truchon wird ganz weiß und fängt zu trampeln an auf ihrem Fußschemel, sie hat sich nämlich unbedingt auf den Fußschemel setzen müssen, damit ihr alle in den Ausschnitt glotzen können. Und je mehr der Wachtmeister redet, desto blasser wird sie. »Vor zwei Jahren erhielt ich eine Einladung von Louis Yoke zu einer Jagdpartie. Er hatte von meiner Waffensammlung gehört und seinem Brief einen kurzen Zeitungsartikel beigefügt, der ihm gewidmet war. Als ich kam, schien Monsieur Yoke in keiner guten Verfassung zu sein, und ich glaube, sein Angedenken nicht zu beschädigen, wenn ich sage, dass er nur Augen für sein besseres Wunderwasser und seinen Kater hatte. Ich schloss mich den anderen Gästen an, jagte, verbrachte die Nacht in seinem Haus und kehrte wieder in mein pikardisches Land zurück, ohne dass ich die Ehre gehabt hätte, dem Herrn des Hauses meine Aufwartung zu machen. Das ist auch schon alles, was mich mit Monsieur Yoke verbindet, den Sie alle so schmerzlich vermissen. Sie können sich meine Verwunderung vorstellen, als ich diese Ladung bekam!«
    Paulette Truchon hält es nicht mehr aus, wie ihr das Erbe geklaut wird, und schreit so laut, dass ihr die Brüste aus der Korsage springen und jeder merkt, dass die zwei Dinger noch größer sind, als was sie uns gern hat glauben lassen wollen. »Geht es dir auch wirklich gut, mein Schatz?«, fragt Herr Truchon, aber statt dass sie ihm eine Antwort gibt, fällt sie auf den Boden, zum Glück hat sie es ja nicht weit, weil sie, wie ich euch schon erklärt habe, unbedingt auf dem Fußschemel hat sitzen müssen. Alle sind aufgestanden und schauen ärgerlich auf die baumelnden Brüste und fragen, ob es ihr gut geht, was eine ziemlich blöde Frage ist, weil Paulette doch mit verdrehten Augen wie eine Tote auf dem Parkett liegt. Herr Truchon schreit, er will sofort ein Glas Wasser, einen Arzt, eine warme Decke und ein quecksilberfreies Thermometer, wir stürzen in alle Richtungen davon, ohne uns vorher abzustimmen, und am Ende kommen natürlich alle mit einem Glas Wasser an. Und obwohl ich gedacht habe, Herr Truchon ist ein Kotzbrocken, wie er angekommen ist mit seinem Koffer und so geschaut hat, als wenn er sagen will, ich soll den gefälligst die Treppe raufschleppen und brauch gar nicht auf ein Bitte oder Danke hoffen, tut er mir jetzt trotzdem leid, wie er bei seiner dicken Paulette kniet. Er schüttet ihr Wasser in den Mund, aber das geht gar nicht in sie rein, sondern kommt durch dasselbe Loch wieder heraus. Martial schiebt seinen Kopf durch die Salontür, Katze Njama im Arm, und grinst debil. Hau ab, Martial, geh schlafen! sag ich und mache
kschksch
, wie man Katzen wegscheucht. Also ich kann keine schlechten Nachrichten überbringen, deswegen sag ich es einfach ohne viel Drumrumreden: Paulette Truchon wird sich nicht mehr auf den Schemel setzen, sie ist nämlich tot.

4
    Das sagt sich leicht, so ist eben das Leben und man soll sich über nichts mehr wundern, weil das Leben alle Stücke spielt, hauptsächlich in Dunkel und Schwarz, aber man kann sich trotzdem nicht dran gewöhnen, wenn einer stirbt. Ich glaube, wenn man wem in die Augen schaut, der tot ist, dann sieht man vielmehr den eigenen Tod. Mir fallen gar nicht genug Worte ein, um Martial zu beruhigen, der so zittert, dass ihm fast die Augen rausfallen. Der hat eine Mordsangst vor dem Tod, weil er ihm einmal knapp von der Schippe gesprungen ist. Deswegen hat er sich in meine Arme geworfen, obwohl er fünfzehn Jahre älter ist als ich, und ich halte ihn und klopf ihm zur Beruhigung auf den Rücken, dass alles gut wird. Er hängt an meinem Hals wie ein Affenbaby, das von dem Dschungelmonster verfolgt wird. Nein, Martial, flüstere ich ihm ins Ohr, red nicht so
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