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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai
Autoren: Emile de Turckheim
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kann ich nicht erzählen. Schade, dass Lucette nicht statt mir die Geschichte erzählt, weil Lucette, die hat so eine Gabe, dass sie alles richtig erzählt, wie es in dem Haus riecht, wie sich die Stimme von Herrn Dings anhört, was der oder der gesagt hat und was die oder die drauf gesagt hat. Und dann passt sie auch immer drauf auf, dass sie sich ein paar Überraschungen aufhebt für später. Sie sagt, das heißt »Süß-Pence«.
    Auf die Leiche passt keiner mehr auf, seit es angefangen hat zu regnen und ein Sturm das Wasser an die Salonfenster peitscht, der Wachtmeister trinkt aus seinem großen Glas und redet sehr laut von seiner Sammlung in seinem Haus in der Pikardie, ein richtiges Paradies ist das, sagt er, mit Kavallerie-Pistolen, Chassepot-Gewehren für die Infanterie, Artillerie-Musketen, Flinten, Pulverhörnern aus der Zeit von Napoleon dem Dritten und noch ganz vielen anderen Waffen, die man dazu braucht, dass man Leute umbringt, die man nicht kennt. Auch wenn er schon das Alter hat, zu dem man älter sagt, ist er wie ein kleines Kind mit seinem Spielzeug, das piffpaffbumm macht. Seine Augen glänzen, und das Beste ist, dass er den Herrn Truchon so angesteckt hat mit seiner Begeisterung, dass der gar nicht mehr an seine tote Paulette denkt und ihr den Fuß auf die Schulter stellt, wie wenn alles gut ist und sie zusammen einen netten Abend bei ihrem Waffensammlerfreund verbringen. Ab und zu sagt der Wachtmeister Sätze mit Indizien und Andeutungen, so, ich hatte eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, und an dem Tag waren die Waffen mir ein Beispiel mit ihrer Geradheit und ihrer schrecklich menschlichen Art, ohne Reue zu schießen. Man merkt ganz genau, wie sehr er sich wünscht, dass er nach der schwerwiegenden Entscheidung gefragt wird, aber Herr Truchon fragt nichts, der schaut drein, wie wenn ein Schüler auf das Ende der Stunde wartet, damit er zum gemütlichen Teil übergehen kann. Und wie der Wachtmeister ganz stur noch einmal wiederholt, dass es eine schwere Entscheidung war und dass keiner das Recht hat, ihn dafür zu verurteilen, frage ich ihn halt, also wenn die Frage gestattet ist, Herr Wachtmeister, würden Sie uns sagen, was für eine mutige Entscheidung das war, die Sie so richtig entschieden haben, dass man Sie dafür nicht verurteilen kann? Er stürzt sich auf meine Frage wie ein Hungerleider auf einen fetten Braten und fängt haarklein an zu erzählen und kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, wo wir schon gar nicht mehr hinhören, der Herr Truchon und ich, wegen der Menge. Der Wachtmeister erklärt auf alle möglichen Weisen, was es für eine schreckliche Schande gewesen ist, wie seiner dreizehnjährigen Tochter plötzlich ein Riesenbauch gewachsen ist, und da war es doch seine Pflicht Pflicht Pflicht Pflicht. Da endlich stellt Herr Truchon, der fast geplatzt ist, die Frage, was denn für eine Pflicht. Der Wachtmeister holt tief Luft und sagt, dass er seine Tochter, die im siebten Monat war, aus dem Haus jagt. Dann fängt er an zu weinen und zu schluchzen, schlimmer als Martial, und lässt sich überhaupt nicht mehr beruhigen, nicht einmal von Herrn Truchon, der ihn mit einem ganz leeren Blick anschaut, weil ihm die Pistolensammelgeschichte viel lieber ist als die traurige Geschichte von der alleingelassenen Mama mit ihrem Baby. Wer will morgen früh zum Frühstück Butterbrot? frag ich, weil ich mir denke, davon wird vielleicht die Unterhaltung besser, aber der Wachtmeister legt die Finger vor den Mund, wie wenn ihm einfällt, dass er den Gashahn nicht zugedreht hat vor dem Urlaub, und fängt schon wieder an zu weinen und denkt überhaupt nicht an Herrn Truchon, der erst am Abend Witwer geworden ist und dem seine Trauer deswegen viel frischer ist als seine. Und heult und heult, bis die Uhr zwölfmal schlägt, und da rutscht mir blöderweise raus, Mitternacht, die Stunde des Verbrechens. In dem Moment steht Sacha Milou im Salon und schaut den Wachtmeister so an, so ich wars nicht, ich hab nichts gemacht. Wir glotzen alle auf die ungeklärte Leiche, die dem Fußschemel zu Füßen liegt. Ich habe Sacha Milou nur durch Ausschluss erkannt, weil ohne sein rotgoldenes Zirkuskostüm, ohne Haarkleber und orange Schminke sieht der nämlich Sacha Milou genausowenig gleich wie ihr und ich. Er hat einen Pyjama mit Taschen an und eine Sanftheit, die einem schon von weitem auffällt.
    »Ich weiß, dass Pistache nicht schlafen kann bei dem Krach von dem Gewitter. Deswegen komm ich ihn
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