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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai
Autoren: Emile de Turckheim
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dass der Wachtmeister ihm mit seiner Fragerei auf die Nerven geht, er regt sich ganz schön auf. »Aber nein! Ich sage es Ihnen zum letzten Mal, Paulette war völlig gesund! Außer dass sie keine Kinder kriegen konnte. Deswegen hat sie ihr Leben ja diesen Gören geopfert, die das gar nicht verdient und sie ruiniert haben. Wo sie doch eine Stimme wie eine Nachtigall hatte und internationalen Erfolg hätte haben können!« Eigentlich hat er damit sagen wollen, dass sie eine Pflegemutter war, wo man Kinder hingibt, die keiner haben will, nicht einmal die eigenen Eltern. Der Wachtmeister hat das genau begriffen und den Herrn Truchon mit einem so wehen Blick angeschaut, dass ich es euch gar nicht sagen kann, und den ganzen Wodka ausgetrunken, den ich ihm ins Glas geschüttet habe statt Wasser, weil ihm davor graust. Dann nimmt er die Flasche vom Buffet und trinkt zwei Gläser ohne Luftholen dazwischen und sagt einen Satz, den niemand hört außer Pistache, der den Kopf zu ihm dreht, wie wenn er sagen will, nur weil ich ein Hund bin, versteh ich trotzdem was, und ich, weil ich ein Sensibelchen bin, das hat Lucette immer gesagt, wenn sie mich geküsst hat und traurig war wegen allem außer mir, ich war nämlich die Freude ihres Lebens und ihr Sonnenstrahl. Ich hatte keine Wahl, hat der Wachtmeister gesagt, sie war doch schwanger bis zu den Haarwurzeln. Dabei sind seine Augen voller Wasser gewesen, wie das manchmal so ist, wenn man gerührt ist oder zornig oder unglücklich oder ein schlechtes Gewissen hat, aber ich sage immer, besser rechtzeitig drüber nachdenken, wenn man noch kein Gewissen hat und es nur an sich selber auslassen kann.
    Die Gastfreundschaft verlangt, dass ich im Salon bleibe und Herrn Truchon beim Weinen und dem Wachtmeister Lyon-Saëck beim Verdächtigen zuhöre, das weiß ich, aber ich sage pardon, ich muss mich entschuldigen, weil Martial nur noch weint, ich muss mich um seinen Kummer kümmern und komme gleich zurück. Herr Truchon schnieft, und der Wachtmeister, der weiß, was sich gehört, sagt, ja, natürlich, ich bitte Sie, Sie haben schon genug von Ihrer Zeit geopfert, bemühen Sie sich nicht, ich kümmere mich schon um Herrn Truchon. Ich sage nichts drauf, aber natürlich komme ich nachher wieder herunter, man muss es ja nicht übertreiben. Der glaubt wohl, der Küchentisch räumt sich von allein ab, und die Kaffeetassen stellen sich selber wie die Großen im Kreis zum Frühstück auf, mit sauberen Servietten und Serviettenringen! Ich nehme die Decke mit den Wolken und den Bärchen aus dem Holzschrank im Salon, die ist so groß, dass ich weder den Kopf von Herrn Truchon noch den Kopf der Leiche noch den Kopf vom Wachtmeister sehe, der mich plötzlich was fragt.
    »Brauchen Sie Hilfe, Aimé?«
    Wenn mich jemand Aimé nennt, dann ist das wie ein Eimer kaltes Wasser auf den Bauch.
    »Nein, ich bin das gewohnt. Es ist für Martial.«
    »Aha. Und was macht er damit?«
    »Das ist seine Kuscheldecke.«
    »Seine was?«
    »Seine Kuscheldecke. Die er zum Einschlafen in den Arm nimmt.«
    »Na, na, ich will mich zwar nicht in etwas einmischen, was mich nichts angeht, aber das ist doch nur etwas für Kinder!«
    Wie man so blöd sein kann, dass man glaubt, nur Kinder wollen was Weiches, Warmes im Arm haben, wenn es Nacht wird!

6
    Wie ich wieder in den Salon runter bin, hat die Uhr elfmal geschlagen und uns damit gesagt, dass es elf ist. Man hätte schwören können, es geht allen gut bis auf Paulette, die noch immer nicht besser ausschaut. Pistache schläft auf dem Sessel von Monsieur Louis, Pfötchen unterm Köpfchen, wie Hunde halt schlafen. Der Wachtmeister hat sich eine Pfeife angezündet und die Beine auf den Schemel gelegt, wo Paulette gesessen hat, bevor sie aufs Parkett gefallen ist. Herr Truchon hat aufgehört zu weinen, weil das nichts bringt, wenn man ständig heult, das weiß ich sehr gut, dann bleibt der Kummer nämlich eingeklemmt. Besser spät als nie, denke ich, weil ich es komplett vergessen habe, und stelle mich mit gesenktem Kopf vor ihn hin, um ihm zu zeigen, dass ich eine Sammlung habe, und sage: Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen.
    Er seufzt ganz tief, als wenn ich mit einem Messer in seiner Wunde bohre, und dann, was ich gar nicht erwartet habe, steht er auf und nimmt meine Hand und drückt meine Finger, was mir schon sehr lange nicht passiert ist, und da greift mir plötzlich ein Gefühl ans Herz, das so groß ist, dass ich es euch gar nicht erzählen kann. Sowieso
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