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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli
Autoren: Ursula Kahi
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Jedenfalls, wenn Ihre Stundenaufzeichnungen stimmen. Ich habe Ihnen zwei E-Mails geschickt, die Sie nicht einmal geöffnet haben, Frau Doktor Wink, und auf meine Anrufe haben Sie auch nicht reagiert«, sagte sie vorwurfsvoll.
    Katharinas schlechtes Gewissen regte sich, weil sie die Post von Murmel-Susi, wie die Weberknecht hinter ihrem Rücken genannt wurde, ignoriert hatte, aber das Gefühl verflog schnell. Ihr aggressiver Ton nervte sie. Natürlich hatte sie ihre Nummer auf dem Display gesehen, aber keinerlei Lust verspürt, mit ihr zu reden.
    »Außerdem waren Sie seit mindestens drei Jahren bei keiner der für Labormitarbeiter vorgeschriebenen Untersuchungen. Das ist nicht nur unvernünftig, sondern auch gesetzeswidrig. Es ist Ihnen doch klar, dass das für das Institut schwerwiegende Konsequenzen haben kann? Wenn irgendetwas passieren sollte, lässt man Sie hier nicht mehr rein.«
    Es war nur mehr eine Frage von Sekunden, dass Weberknechts roter Kopf platzen oder sie der Schlag treffen würde.
    »Jaja, schon gut.«
    »Heißt das, dass Sie zur Untersuchung gehen?«
    »Und wann sollte ich das tun?«
    Die Weberknecht japste nach Luft. »Na, heute! Jetzt sofort. Die anderen Kollegen sind schon unten in der Eingangshalle und werden in ein paar Minuten zur Klinik fahren.«
    Katharina seufzte, lehnte sich an den Tisch und überlegte, was sie tun sollte. So eine Nervensäge. Am liebsten hätte sie sie rausgeworfen, aber stattdessen nahm sie einen Schluck Kaffee und zählte stumm bis zehn.
    »Frau Doktor Wink, gerade Sie sollten doch mit gutem Beispiel vorangehen«, säuselte Weberknecht plötzlich so freundlich, als würde sie ahnen, was in der Wissenschaftlerin vorging.
    Blöde Schleimerin, dachte Katharina. Andererseits hatte Murmel-Susi ja recht. Und was konnte es schon schaden, sich untersuchen zu lassen? Ein Schwätzchen mit den anderen würde zudem sicher auch ein wenig Abwechslung bringen.
    Wortlos nahm sie ihren Mantel und ging zur Tür. »Und Sie, wollen Sie vielleicht hier Wurzeln schlagen?«, fragte sie die Weberknecht im Vorbeigehen.
    »Wie jetzt? Sie kommen tatsächlich mit?« Überrascht trippelte ihr die Personalchefin hinterher.
    Eine Woche später war ein Schreiben von der Klinik gekommen. Sie solle sich sofort melden, einige Werte seien außerhalb der Norm, eine Nachuntersuchung sei zwingend erforderlich.
    Sicher meine mangelnde Bewegung und die unregelmäßigen Mahlzeiten. Ich sollte wirklich mehr auf meine Gesundheit achten, dachte Katharina.
    Man nahm ihr noch einmal Blut ab und schob sie in den Kernspintomografen. Auf ihre Frage, was denn los sei, antwortete der Arzt, ihr Blutbild weise ein paar kleine Unstimmigkeiten auf, sicher nichts Besorgniserregendes.
    Der Befund hatte vor drei Tagen in ihrem Briefkasten gelegen.
    Im Labor starrte Katharina auf ihr verzerrtes Bild im Spiegel des Metallschranks und konnte es noch immer nicht fassen. Der Arztbrief lag vor ihr auf dem Tisch: »Pankreaskarzinom im fortgeschrittenen Stadium«. Deshalb also ihre blasse Gesichtsfarbe und das ständige Ziehen im Bauch. Sie lachte bitter auf. Und sie hatte sich die ganze Zeit über eingeredet, dass der Mangel an Sonnenlicht und ihre schlechte Verdauung die Ursachen wären.
    Beim Patientengespräch hatte der Arzt sich gewunden wie ein Aal, als sie ihn um eine Prognose bat, und nichts Konkretes von sich gegeben. Sie war nach Hause gefahren, hatte alles, was sie über die Krankheit finden konnte, gelesen und war zum Schluss gekommen, dass ihr bestenfalls noch drei bis vier Monate blieben, eine Therapie in diesem Stadium schien keinen Unterschied mehr zu machen. Danach würde Katharina Wink Geschichte sein. Die Rackerei an der Uni, die unzähligen Nächte, die sie sich im Institut um die Ohren geschlagen hatte – alles vergebens.
    In einem Anfall von Wut und Verzweiflung riss sie das Messglas vom Tisch und schleuderte es gegen die Wand. Das Ding zersprang in tausend Stücke. Katharina begann zu weinen. Einunddreißig, keine Familie, nicht einmal einen festen Freund, dafür hatte die Zeit nicht gereicht. Sie ließ sich auf einen Hocker sinken und betrachtete ihre zitternden Hände. Es war zum Verrücktwerden.
    Sie erinnerte sich: Vor mehr als fünf Jahren hatte sie ihr damaliger Professor, Robert Tomaschek, nach einer Vorlesung über die richtige Wahl bestimmter Modellorganismen angesprochen und sie zum Essen in die Uni-Mensa eingeladen. Sie war noch Doktorandin gewesen und hatte sich geschmeichelt gefühlt. Der Professor
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