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Im Schatten des Schloessli

Im Schatten des Schloessli

Titel: Im Schatten des Schloessli
Autoren: Ursula Kahi
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trottete Flora lustlos hinter Unold her, der neugierig von Stand zu Stand pilgerte. Er hatte mit seiner Befürchtung recht gehabt: Die einzelnen Stationen richteten sich tatsächlich hauptsächlich an Kinder. Flora hätte nicht sagen können, warum, doch sie fühlte sich deshalb angeschmiert. Aus dem Alter, sich eine Augenklappe und ein Diebesbündel zu basteln, war sie heraus. Und auch wenn sie gewollt hätte: Sie durfte zwar die Informationstafeln lesen, selbst Hand anlegen aber durfte sie nicht. Und als sie es wagte, den Kopf in die Räuberhöhle «Zur Wilden Wilma» zu strecken, wurde sie von der Wilden Wilma barsch vertrieben. So altes Volk wie Flora sei hier nicht erwünscht.
    Da erregte eine Frau in einem braunen Umhang und mit einem dunkelbraunen Schlapphut ihre Aufmerksamkeit. Die Tafel in ihrer Hand versprach Informationen zu Dieben und Schlitzohren, zu herumstreifenden Bettlern und Vagabunden im bernischen Aargau des 17. und 18. Jahrhunderts. Sogleich zog es Flora den Magen zusammen. Schlitzohren. Sie versuchte, an etwas anderes zu denken, doch ständig sah sie Gody Metzger vor sich, der sich, ein blutiges Messer in der Hand, an den Ohren von Chris Morton zu schaffen machte. Floras Bauch krampfte. Und dann setzte das Stechen in der Brust ein. Unerbittlich. Schonungslos. Da sie nicht wusste, wie sie sich noch länger auf den Beinen halten sollte, folgte sie der Unbekannten zusammen mit zahlreichen Neugierigen in den unteren Saal des Ritterhauses. Erleichtert liess sie sich auf einen Stuhl fallen.
    «Von 1444 bis 1796 war die Lenzburg Amtssitz der bernischen Landvögte und damit auch der Ort, an dem die Berner Obrigkeit Angeklagte zur Befragung im Schlosskeller einsperrte», begann die Frau ihre Ausführungen. «Die Verhörmethoden waren brutal, die Strafen hart und eine Hinrichtung lange nicht so malerisch, wie es im Kino dargestellt wird. So pflegten die vom Berner Landvogt zum Tod durch das Schwert Verurteilten nicht niederzuknien, damit der Scharfrichter das Schwert für den tödlichen Streich von oben nach unten führen konnte, sondern sie wurden mit gefesselten Händen auf einen Stuhl gesetzt, und der Kopf wurde ihnen mit einem waagrechten Streich vom Rumpf getrennt.»
    Flora schauderte. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die Kinder, die gebannt an den Lippen der Erzählerin hingen.
    «Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts galt in dieser Gegend das römische Recht. Verurteilt werden durfte nur, wer die Tat, derer er angeklagt wurde, auch gestand. Der Landvogt, der die Befragung vornahm, versuchte deshalb, vom Angeklagten ein Geständnis zu erhalten. Gelang dies durch ein erstes, freundliches Verhör nicht, griff der Landvogt zur territio verbalis . Das heisst, er versuchte den Gefangenen mit Worten einzuschüchtern. Gestand dieser noch immer nicht, wurden ihm als territio realis die Folterwerkzeuge vorgeführt. Blieb das Geständnis weiterhin aus, musste der Scharfrichter mit dem Angeklagten umgehen, wie man es nannte, ihn also anfassen. Durch die Berührung mit dem Henker wurde der Angeklagte entehrt. Führte auch das nicht zum gewünschten Erfolg, kam die Folter als Instrument der Wahrheitsfindung zum Einsatz. Legte der Gefangene trotz Folter kein Geständnis ab, war er ganz offensichtlich unschuldig und musste freigelassen werden. Nur ein Unschuldiger, so glaubte man, sei imstande, die Schmerzen der Folter zu ertragen.»
    «Reizende Zeit», flüsterte Unold Flora zu und setzte sich auf den frei gewordenen Stuhl neben sie.
    Vor lauter Schmerzen hatte sie gar nicht darauf geachtet, dass Unold ihr in den Rittersaal gefolgt war. Umso bewusster fühlte sie jetzt seine unerwartete Nähe, die ihre Haut leise kribbeln liess. Sowie sie dies bemerkte, erstarrte sie schuldbewusst und rutschte verstohlen Millimeter um Millimeter von ihm weg, bis ihre Pobacke den rechten Rand der Sitzfläche berührte.
    «Die Berner Obrigkeit verwendete in ihren Befragungen zwei einfache und günstige Folterinstrumente: die Strecki und die Daumenschrauben», sagte die Historikerin gerade. «Frauen und Kindern band man die Hände vor dem Körper zusammen, zog sie daran an einem Seil in die Höhe und beschwerte sie mit Martersteinen von maximal fünfundsiebzig Kilogramm Gewicht. Männern hingegen band man die Hände vor dem Aufziehen am Seil auf den Rücken. Das war bedeutend schmerzhafter und führte zu schlimmen Ausrenkungen der Schultergelenke.»
    «Ich sollte mal mit Geigy reden, vielleicht wäre das was für die
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