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070 - Schreie des Grauens

070 - Schreie des Grauens

Titel: 070 - Schreie des Grauens
Autoren: Dämonenkiller
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Vor Tagen hatte es schon einmal geschneit. Die Grabsteine, die wie bleiche Knochen zwischen den schwarz scheinenden Gewächsen auf ragten, waren feucht und glichen gespenstischen Figuren. Der Himmel war vollkommen klar. Das bleiche Mondlicht verwandelte die Mitte des Nordfriedhofes in eine Spuklandschaft. Ein leichter Ostwind wisperte geheimnisvoll in den kahlen Zweigen der alten Bäume und raschelte mit dem trockenen Laub des späten Herbstes. Es war, als würden rund um das schmale Grab mit dem Holzkreuz unsichtbare Zuschauer spazieren. Die dänische Dogge, die an eine der Steinbänke gebunden war, keuchte leise.
    „Wann ist es soweit?" flüsterte das Mädchen.
    Sie war schlank und hochgewachsen. Ihre Stimme, tonlos und heiser, ließ erkennen, daß sie sich fürchtete. Aber hinter der Furcht war etwas, es konnte hochgespannte Erwartung sein oder Leidenschaft.
    Die Frau neben ihr, die ein Bündel schwarzer Kerzen herauszog und in die weiche Erde steckte, nickte und antwortete kurz: „Der Mond steht noch nicht genau über dem Grab. Die Stunde ist noch nicht da."
    „Wann passiert - es?"
    „In einer Stunde."
    Der Hund machte verzweifelte Anstrengungen, davonzulaufen. Die beiden Frauen hatten ihn mit einer Stahlkette an die Steinplatte binden müssen. Jeder Versuch der Dogge, sich zu befreien, erstickte sie fast. Die Vorderläufe und Hinterläufe waren mit Ledergürteln gefesselt. Das Tier starb beinahe vor Todesfurcht, gleichzeitig war es wütend und knurrte die beiden schwarzgekleideten Gestalten an. Laute des Hasses kamen aus der Kehle des riesigen, blau-weiß gescheckten Tieres. Uralte Weiden schaukelten mit ihren langen, hängenden Zweigen. Sie wirkten wie seltsame Kraken, die nach den beiden Frauen greifen wollten. Weit hinten im Friedhof schrie ununterbrochen ein Käuzchen, der Totenvogel. Ein einzelnes Irrlicht erschien und sprang wie ein lebendes Wesen von Ast zu Ast. Außerhalb der Mauer, die drei Meter hoch und mit zerrissenen Efeuranken bedeckt den Friedhof umschloß, kreischte eine Straßenbahn in der Kurve.
    „Wie spät ist es?"
    „Viertel nach elf", sagte die jüngere der beiden Frauen. Sie fröstelte. Es war ihr alles unheimlich.
    Sie wollte zurück, aber es war schon zu spät dazu. Das Wiedersehen mit der einzigen Person, die sie jemals geliebt hatte und lieben konnte, war nur noch fünfundvierzig Minuten entfernt. Sie seufzte und packte die Gegenstände aus, die sie mitgebracht hatten.
    Die Dogge machte einen weiteren Versuch und erdrosselte sich fast. Heiser jaulte der mächtige Hund auf.
    Einige Irrlichter schienen aus dem Nichts eine Handbreit über dem Boden zu entstehen. Andere lösten sich von der Kuppel eines einstmals prächtigen Mausoleums, auf der ein bekannter Künstlername stand. Die Lichtlein begannen einen geräuschlosen Reigen um das Grab. Vor zwei Monaten war es geschaufelt worden, seit sechzig Tagen lag der junge Mann hier begraben.
    „Wo hast du diese Beschwörungen gelernt?" fragte das Mädchen.
    Sie hoffte, daß die Beschwörung ihres Freundes gelang, aber sie konnte nicht daran glauben. Die einzige Lehre, die sie aus dieser gespenstischen Nacht ziehen konnte, war: Sie mußte lernen, allein zu leben und ohne die Liebe. Nicht ohne Männer, aber ohne die tiefe seelische Verbundenheit, die zwischen ihr und dem Toten bestanden hatte. Diese Nacht konnte einfach nicht mehr sein als der berühmte heilsame Schock.
    „Von einer klugen, sehr alten Frau", sagte die Begleiterin und richtete sich auf.
    Rund um das Grab befand sich jetzt ein magischer Kreis aus unangezündeten schwarzen Kerzen. „Vollmond, Irrlichter, ein Hund und die Stunde - alles stimmt?" fragte das Mädchen nervös.
    Sie wäre am liebsten davongerannt. Hinter ihr jaulte der Hund schmerzerfüllt auf. Die Frau ging hin und versetzte ihm mit dem Handrücken einen harten Schlag auf die Schnauze. Mit einem letzten Aufheulen schwieg die Dogge.
    „Es wird alles stimmen. Verlasse dich drauf!" war die knappe Antwort.
    Beide Frauen trugen schwarze Kopftücher, die kaum etwas von den Gesichtern erkennen ließen. Der Mond, der fast alle Sterne über der großen Stadt überstrahlte, kroch zwischen den blattlosen, schwarzen Zweigen höher. Ein paar verirrte Fledermäuse strichen im Zickzackflug um die Bäume. Wieder entstanden über alten Gräbern Irrlichter. Dann erschien zwischen den Säulen des Mausoleums ein fahlleuchtender Schatten, so groß wie ein Kind.
    „Ich fürchte mich. Hören wir auf! Ich halte es nicht mehr aus",
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