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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Autoren: Jürgen Rath
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sich Moritz um. An den Wändenhingen Mitbringsel aus aller Welt. Rechts von ihm sperrte ein kleines Krokodil seinen Rachen auf, über ihm schwebte ein fliegender Fisch mit ausgebreiteten Flossen, auf der linken Seite hingen düstere afrikanische Masken. Etwas weiter gab es das Gebiss eines Hais zu bestaunen und das Modell einer Fregatte. Auf dem Boden stand eine Seekiste, daneben hingen eine kunstvoll geflochtene Peitsche aus feinem, weißem Leder und drei faustgroße, mit dem gleichen Leder bespannte Kugeln, die über lange, dünne Lederbänder miteinander verbunden waren.
    »Was ist das?«, fragte Moritz erstaunt.
    Der Klabautermann blickte hoch. »Das ist eine argentinische Bola. Die werden von den Viehtreibern geschleudert, wenn sie Stiere einfangen wollen. Die Kugeln wickeln sich um die Hinterbeine der Tiere und bringen sie zu Fall.« Er lächelte. »Das klappt natürlich nur, wenn man geübt ist.«
    In diesem Augenblick verdunkelte sich der Eingang. Ein Kapitän trat ein, gefolgt von zwei Matrosen, die einen Baum hinter sich herschleppten. In der Mitte des Raumes wurde der mit Segeltuch umwickelte Wurzelballen abgestellt und der Baum aufgerichtet. Die kahlen Äste reichten bis zur Decke.
    Kapitän Westphalen umrundete das merkwürdige Gewächs. »Was bringt ihr da?«, fragte er barsch.
    Der fremde Kapitän zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Wir haben es von einem Brasilienfahrer bekommen, als wir im Hafen von Lissabon lagen. Es soll ziemlich selten sein.«
    Der Klabautermann bedachte die sonderbare Pflanze mit einem misstrauischen Blick und zupfte an einem vertrockneten Zweig. Die beiden Matrosen sahen ihm teilnahmslos zu. Es waren kräftige Männer mit derben Händen, umweht von einem Geruch von Salz und Teer.
    »Schlechte Ware«, sagte der Klabautermann. »Ich habe Order gegeben, nur beste Ware zu liefern.«
    Der fremde Kapitän streckte bedauernd die Handflächen nach außen. »Die Reise dauerte extrem lange. Wir hatten fast nur Windvon vorne. Und dann ging das Frischwasser zu Ende. Wir konnten den Baum nur noch mit Salzwasser gießen   …« Seine Stimme verlor sich im Raum.
    »Kaufmann Schröder wird nicht begeistert sein«, sagte der Klabautermann. »Er wartet schon seit geraumer Zeit auf eine exotische Pflanze, die niemand anderes im Garten hat.« Er blickte noch einmal auf das gebeutelte Gewächs, dann auf den fremden Kapitän. »Sie bekommen Ihre Prämie, wenn der Baum anwächst. Vielleicht schafft es der Gärtner, der soll ja ein Meister seines Fachs sein.«
    Nachdem die drei gegangen waren, widmete sich Kapitän Westphalen wieder den Papieren. Moritz goss den Baum, der nun draußen an der Hauswand lehnte, mit frischem Wasser aus der Pumpe. Danach kam er herein und betrachtete erneut die Mitbringsel. Er sah sich gerade das Kapitänsbild eines Clippers unter Leesegel an, als ihn ein Geräusch herumfahren ließ. Erschrocken machte er einen schnellen Schritt nach hinten, denn die weit aufgerissenen Augen eines getrockneten Seetieres starrten ihn an. Nachdem der erste Schreck verflogen war, musste Moritz lauthals lachen. Der merkwürdige, eckige Fisch mit dem viel zu kleinen Kopf sah wirklich zu komisch aus.
    »Das ist ein Kofferfisch«, erklärte Kapitän Westphalen. »Er lebt in tropischen Gewässern. Eigentlich ist er klein, doch bei Gefahr bläst er sich auf. Ich hatte ihn für meinen Sohn   –« Der Kapitän brach mitten im Satz ab. Er drehte sich abrupt um, warf den Fisch achtlos auf den Tisch, trat ans Fenster und starrte auf den Binnenhafen hinaus. »Bist du schon einmal auf hoher See gewesen?«
    »Nein, ich war noch nie von Hamburg weg.«
    »Recht so! Die Seefahrt ist ein gefährliches Geschäft. Zuweilen sogar tödlich.«
    »Ich weiß aber alles über Segelschiffe. Und ich war auch schon ganz oben im Mast. Auf der Bramrah.«
    »Wie kann man auf der Bramrah stehen, wenn man noch nicht zur See gefahren ist?«
    Oh je, dachte Moritz, zu viel verraten.
    »Ich erwarte eine Antwort!«, sagte der Klabautermann scharf.
    »Nun ja«, stotterte Moritz. »Also es ist so: Wenn die Schiffe im Winter im Eis lagen, früher meine ich, also unbewacht waren, sozusagen, da sind meine Freunde und ich in der Takelage herumgeklettert.«
    Er machte eine Pause und kam sich irgendwie ertappt vor. Der Klabautermann zog die schwarzen Augenbrauen zusammen, bis sie einen durchgehenden Strich bildeten.
    »Weiter!«
    »Wir haben nichts kaputt gemacht. Wir haben nur so getan, als wären wir Matrosen in der
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