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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Autoren: Jürgen Rath
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geruchsintensive Ware.« Jan schniefte lautstark und fuhr sich mit dem Jackenärmel unter der Nase entlang. Unwillkürlich musste Moritz an das Schnäuztuch in seiner Hosentasche denken. Er war der einzige in der Familie, der eines besaß. Der Vater hatte es ihm aufgedrängt. »Du lernst in einem vornehmen Handelshaus«, hatte er gesagt, »also musst du dich auch so benehmen.«   – »Ich finde es eklig«, hatte Moritzgeantwortet, »warum soll man seinen Schnodder in der Tasche spazieren tragen?«   – »Schau auf die anderen, mach es genauso wie sie«, hatte der Vater angeordnet, »wir wollen nicht wie ungehobelte Menschen dastehen.«   – »Ich würde lieber Quartiersmann werden wie Jan«, hatte Moritz darauf geantwortet, doch der Vater hatte nur empört geschnauft. »Ich will keine zwei Söhne in einem Beruf haben, den es vielleicht in zwanzig oder dreißig Jahren nicht mehr gibt. Es ändert sich so viel in der letzten Zeit. Wenn der Deutsche Bund kommt und die Zollfreiheit in der Stadt aufgehoben wird, brauchen wir die Waren nicht mehr zwischenzulagern. Dann werden sie sofort vom Schiff zum Ladungsbesitzer transportiert. Und wir sind arbeitslos.«   – »Für einen kräftigen jungen Mann gibt es immer Arbeit«, hatte Jan dazwischen geworfen. »Ich kann auch als Schauermann arbeiten.«   – »Möglich. Aber wir Quartiersleute sind am besten angesehen im Hafen. Wir sind die Treuhänder der Kaufleute. Die Schauerleute kommen erst an zweiter Stelle.«
    Jan riss Moritz aus seinen düsteren Gedanken. »Erzähl doch etwas von deiner Arbeit. Ich will wissen, wie es bei feinen Leuten zugeht.«
    Was gibt es da zu erzählen?, dachte Moritz. Soll ich ihm sagen, wie viel Papier ich heute vergeudet und wie viel Löschsand ich unter den Pulten zusammengefegt habe? Er dachte angestrengt über irgendetwas Interessantes nach, als ihm schließlich die Hebemaschine einfiel.
    »Der Rat will einen neuen Kran bauen lassen. Der alte ist ja beim großen Brand vernichtet worden.«
    »Davon habe ich gehört«, sagte Jan. »Der soll dreihundert Zentner heben. Stellt euch das vor: ganze dreihundert Zentner!«
    »Es gibt einen Vorschlag für einen Holzkran. Kapitän Westphalen war ganz empört, dass es kein Kran aus Eisen werden soll.«
    Vater Forck nahm die Pfeife aus dem Mund. »Eisen ist ein schwieriger Werkstoff«, sagte er bedächtig. »Es gab schon Unfälle, weil bei grimmiger Kälte das Metall gebrochen ist.«
    »Roger sagt, dass Eisenmaschinen das Holz irgendwann ganz ersetzen werden.«
    »Das denke ich auch«, sagte der Vater, »doch für unseren Beruf ist es egal, was für ein Kran es werden wird. Was interessieren uns Lokomotiven und Marmorblöcke? Damit haben wir Quartiersleute nichts zu tun.«
    »Wer wird den Kran bauen?«, fragte Jan.
    »Ein Werftbesitzer namens Elbrand. Der hat auch die Bullen im Hafen gebaut.«
    Johann Forck zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Sieh an, der alte Elbrand. Ich dachte, der hätte sich längst zur Ruhe gesetzt.«
    »Kennst du ihn?«, wollte Jan wissen.
    »Kaum. Ich glaube, er war Senator. Oder Deputierter im Bauamt? Jedenfalls ein hohes Tier.«

3
    Massive Eiche! Moritz konnte seinen Blick nicht von dem schönen Möbelstück losreißen. Er war noch nie im »Heiligtum« gewesen, dem Büro von Caesar Schröder, und was er jetzt sah, übertraf seine Vorstellungen bei Weitem. So einen schönen Schreibtisch möchte ich auch einmal haben, dachte er. Doch im gleichen Augenblick hatte er die enge, steile Treppe in der Holländischen Reihe vor Augen, über die man ein so großes Möbelstück wohl kaum würde nach oben schaffen können. Und wo sollte der Schreibtisch Platz finden in der kleinen Wohnung seiner Eltern?
    Caesar Schröder schmunzelte. Ganz offensichtlich amüsierte es ihn, dass seinem alten Schreibtisch so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Er wuchtete sich aus seinem Stuhl und trat an den massiven Schrank im hinteren Teil des Zimmers. Es knarrte, als er die beiden Schlüssel in den Schlössern drehte. Als er sich wieder zu seinem Lehrjungen umwandte, hielt er in der einen Hand einen Stoß Papiere, in der anderen eine abgeschabte Ledertasche.
    »Herr Harms ist krank«, sagte er und schob den Kneifer über der Nase zurecht, »hoffentlich ist es keine Influenza.« Er runzelte besorgt die Stirn, dann wandte er sich wieder Moritz zu. »Normalerweise geht Herr Stove zum Hafen hinunter, doch er und mein Sohn sind mit dringenden Terminarbeiten beschäftigt. Deshalb musst du einen Botengang zu
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