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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Autoren: Jürgen Rath
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Abflussrinne, in der einen Hand den Eimer, in der anderen das geraffte Kleid und die Schürze. Mit ihren blonden Zöpfen, den blauen Augen und den Sommersprossen auf der Nase wäre Jette in dem Pulk der anderen Mädchen kaum aufgefallen. Doch sie hatte einen schönen, großen Mund, in dem die vielen weißen Zähne kaum Platz hatten, wenn sie lachte. Leider lachte sie nicht sehr oft, sie hatte nicht viel zu lachen als älteste Tochter einer kinderreichen Familie.
    Moritz nickte Jette kurz zu und lief schnell in den Hof zurück. Dort stellte er den Wassereimer in den Holzverschlag, nahm einen Korb, füllte ihn mit Kohlen und Holzscheiten und kletterte wieder in den dritten Stock hinauf.
    Die Eltern und Jan hatten sich in die Stube zurückgezogen, die den Eltern auch als Schlafzimmer diente. Die Jungen schliefen in der angrenzenden Kammer in einem gemeinsamen Bett. Bequem war es nicht in dem schmalen Bettgestell, und je mehr Moritz wuchs, umso enger wurde es. Daher hatten sie es sich angewöhnt, seitenverkehrt zu schlafen, jeder mit dem Kopf an den Füßen des anderen. Im Winter, wenn in dem ungeheizten Raum die Eisblumen an dem einzigen, kleinen Fenster blühten, war es ja recht gemütlich, so eng aneinanderzuliegen, doch im Sommer, wenneine stickige Hitze herrschte, flüchtete Moritz häufig mit seiner Pferdedecke auf die Küchenbank.
    Der Vater stellte die aus Resten neu gezogene Kerze auf den Eichentisch, den er vom Krämer aus zweiter Hand erstanden hatte. Moritz strich andächtig über die fast makellose Tischplatte. Er konnte nicht verstehen, wie man einen so schönen und wertvollen Tisch weggeben konnte, doch der Altwarenhöker hatte ihm erklärt, dass zurzeit die Mode wechselte und die reichen Leute ihre Möbel beim Höker ablieferten oder sie einfach verbrannten. Das sei die göttliche Gerechtigkeit, hatte Johann Forck gesagt, dass er von Zeit zu Zeit die Mode wechseln ließe, damit auch ein Arbeiter in den Genuss von schönen Dingen käme.
    Der Vater lehnte sich in seinem Ohrensessel   – ebenfalls aus zweiter oder dritter Hand   – zurück und stopfte die kurze Pfeife, während er mit Jan über den bevorstehenden Rückgang des Eises plauderte und über die Schiffe, die dann endlich wieder an den Vorsetzen anlegen und in den Binnenhafen einfahren konnten. Bis dahin, erklärte er, müssten sie den Speicher möglichst leer bekommen.
    Die Mutter hatte ihr Nähzeug auf den Knien liegen und versuchte erfolglos im flackernden Schein der Kerze einen Faden in das Nadelöhr zu fädeln. Nachdem Jan eine Zeit lang zugesehen hatte, nahm er ihr kurzerhand die Nadel aus den Fingern, leckte den Faden an und steckte ihn ohne Probleme durch den schmalen Schlitz.
    »Meine Augen werden auch immer schlechter«, seufzte die Mutter.
    Jan steckte eine Hand in die Hosentasche. Als er sie wieder herauszog, hatte er sie zur Faust geballt und hielt sie der Mutter vors Gesicht. »Ich habe eine Überraschung für dich. Rate mal, was es ist.«
    Herta Forck erriet es nicht. Jan öffnete seine große Faust und ließ graugrüne Kaffeebohnen auf den Tisch prasseln. Dem Vater fiel fast die Pfeife aus dem Mund.
    »Junge«, rief er entsetzt, »du hast doch nicht etwa Kaffee aus unserem Speicher gestohlen?«
    Jan lachte nur. »Nein, Vater, die sind von Brüggemann und Konsorten. Dort ist ein Sack geplatzt, direkt neben dem Fuhrwerk. Sie haben zwar alles aufgefegt, aber zwischen den Pflastersteinen blieb vieles liegen. Diese Bohnen habe ich zusammengeklaubt.« Er griff wieder in die Tasche und förderte noch eine Handvoll hervor.
    Die Mutter röstete den Kaffee so lange, bis ihr der scharfe Brandgeruch fast den Atem nahm. Auf einem Holzbrett zerkleinerte Jan die Bohnen mit der Rückseite seines Beils. Bald darauf zog der Duft von Mocca durch die Wohnung. Moritz mochte das bittere Zeug nicht, und Johann Forck lehnte aufgeklaubten Kaffee, der ihnen nicht gehörte, aus Prinzip ab. Doch Herta und Jan tranken die schwarze Brühe mit Genuss. Die Mutter bekam sogar einen Hauch von Röte auf die Wangen und etwas Glanz in die Augen.
    Der Vater und Jan nahmen ihr Gespräch wieder auf. Während der Raum von den Erzählungen über Schiffe, Waren, Verpackungen und den wohlklingenden Namen ferner Hafenstädte erfüllt war, dachte Moritz an seine endlosen Stunden im Kontor von Schröder   &   Westphalen. Die Zeit dort, zwischen Papier, Tinte und Löschsand, erschien ihm wieder einmal wie eine lebenslange Gefängnisstrafe.
    »Pfeffer ist auch so eine
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