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Im Namen des Kreuzes

Im Namen des Kreuzes

Titel: Im Namen des Kreuzes
Autoren: Peter Probst
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einen Zipfel der Alpenkette sehen konnte, frei nach dem Motto: Kann man nicht drüber weg, muss man drunter durch. Ein altes jüdisches Sprichwort.
    Schwarz war gerade noch glücklich nach Hause gekommen, bevor ihn der Noro-Virus, den er sich in der romantischen Kurklinik geholt hatte, lahmlegte. Drei Tage und Nächte verbrachte er fast durchgehend auf der Toilette. Seither verspürte er einen gewissen Widerwillen gegen Besuche bei seiner Mutter.
     
    Das war jedoch nicht die einzige Baustelle in Schwarz’ Leben. Er hatte Evas Rückkehr aus den USA kaum erwarten können und wäre am liebsten schon in der S-Bahn über sie hergefallen. Stattdessen entwarf er – der kaum je über die bayerischen Landesgrenzen hinausgekommen war – die kühnsten gemeinsamen Reisepläne. Junge Frauen erwarten so was, dachte er. Eva strich ihm ein wenig mitleidig übers Haar und flüsterte ihm ins Ohr: »Anton, wir haben alle Zeit der Welt!«
    Sie küssten sich bis kurz vor Pasing. Dort war Eva von ihren Eltern empfangen und sofort mit Beschlag belegt worden. Es war wie verhext. Erst hatte sich ein alter Schulfreund bei ihr einquartiert. Dann hatte sie heftige Zahnschmerzen bekommen und sich zwei Weisheitszähne ziehen lassen müssen. Schließlich war sie zu einer jüdischen Hochzeit nach Düsseldorf aufgebrochen. Keine Chance, sie allein zu treffen.
    Schwarz konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt solche Sehnsucht nach einer Frau gehabt hatte. Deswegen seine Idee, die Wartezeit mit dem Entrümpeln seiner Wohnung zu nutzen. Doch irgendwie begann sich bei ihm der Verdacht einzuschleichen, dass Eva sich ihrer Sache vielleicht nicht ganz sicher war.
    Bereute sie, was zwischen ihnen geschehen war?
    Oder hatte sie bei ihren medizinischen Untersuchungen in den USA etwas erfahren, das sie ihm nicht anvertrauen wollte? Vielleicht hatte sie ihm etwas vorgemacht und es gab doch keine Chance für eine Operation?
    Aber das könnte sie mir doch sagen, dachte Schwarz und warf das Standardwerk über psychologische Techniken beim Polizeiverhör zum Abfall.
    Als Nächstes nahm er sich den Schreibtisch vor, der von einem wilden Durcheinander aus Papieren, Zeitschriften und Büchern bedeckt war. Er trug die oberste Schicht erfolgreich ab und erschrak. Da lag der Laptop von Matthias Sass. Es war noch gar nicht lange her, dass der Theologiestudent sein junges Leben mit einem Sprung vor eine Lok ausgelöscht hatte – eine furchtbare Geschichte. Schwarz hatte das Gerät während seiner Ermittlungen von der Mutter des Selbstmörders geliehen und hätte es längst zurückgeben müssen. Er beschloss, nicht länger damit zu warten – für das Ausmisten seiner Wohnung war immer noch Zeit.
     
    Als Schwarz vor dem zwölf Jahre alten, dunkelblauen VW Golf seiner Tochter Luisa stand, konnte er nicht glauben, dass das nun sein Auto sein sollte. Das lag nicht daran, dass der Wagen unübersehbare Blechschäden erlitten hatte, sondern am Verlust seines geliebten roten Alfa 146. Es war eine schwere Trennung gewesen. Nachdem er ihn auf einem Schrottplatz an der Lochhauser Straße zurückgelassen hatte, war es ihm in der ersten Trauerphase unmöglich gewesen, in ein anderes Auto zu steigen. Eine Weile nahm Schwarz für alle kürzeren Strecken das Fahrrad und nutzte sonst öffentliche Verkehrsmittel. Am besten gefiel ihm die Tram, sie war selten überfüllt und hatte mit ihrer moderaten Geschwindigkeit einen beruhigenden Einfluss auf ihn. Schwarz hätte noch länger ohne Auto leben können, hätte Luisa ihm nicht ihren Golf zum Kauf angeboten. Zuerst hatte er empört abgelehnt, dann aber begriffen, dass es sich hier schlicht um eine gesichtswahrende Finanzierungsmaßnahme handelte. Sie träumte von einem cappuccinofarbenen Mini Cabrio. Den hatte sie jetzt – und er den verbeulten Golf.

3.
     
    »Ah, gut dass Sie kommen«, sagte Irmgard Sass. Sie hatte Schwarz sofort erkannt. »Ich hätte Sie ohnehin angerufen.«
    Schwarz hielt ihr den Laptop ihres Sohns hin. »Tut mir leid. Ich habe ihn einfach vergessen.«
    Sie winkte ab. »Den können Sie gern behalten. Ich kann damit nichts anfangen. Kommen Sie rein und lassen Sie Ihre Schuhe bitte an.«
    Schwarz hätte sie auch nicht ausgezogen. Die Löcherquote lag bei seinen Socken inzwischen erschreckend hoch. Noch so eine Baustelle, seit seine liebe Gattin und er sich getrennt hatten.
    Frau Sass führte ihn in ihren braunen Pantoffeln an Ölbildern mit Blumenmotiven und dem grünen Kachelofen vorbei zur
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