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Byrne & Balzano 02 - Mefisto

Byrne & Balzano 02 - Mefisto

Titel: Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Autoren: Richard Montanari
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1.
    »Ich will Regie führen, nur darum geht es mir.«
    Nichts. Keine Reaktion. Sie schaut mich mit diesen großen preußischblauen Augen an und wartet. Vielleicht ist sie zu jung, um das Klischee zu erkennen. Vielleicht ist sie cleverer, als ich dachte. Das macht mir die Aufgabe, sie zu töten, entweder einfacher oder schwerer.
    »Cool«, sagt sie.
    Einfacher.
    »Du hast schon mal Theater gespielt. Das sehe ich.«
    Sie errötet. »Eigentlich nicht.«
    Ich senke den Kopf und hebe den Blick. Mein unwiderstehlicher Blick. Monty Clift in Ein Platz an der Sonne. Ich sehe, dass es funktioniert. »Eigentlich nicht?«
    »Na ja, an der Highschool haben wir die West Side Story aufgeführt.«
    »Und du hast die Maria gespielt.«
    »Wohl kaum. Ich war bloß eine von vielen Tänzerinnen.«
    »Jet oder Shark?«
    »Jet, glaube ich. Und auf dem College habe ich auch ein paarmal mitgespielt.«
    »Ich wusste es«, sage ich. »Ein schauspielerisches Talent erkenne ich auf eine Meile Entfernung.«
    »Oh, nein, ich war keine große Nummer. Ich glaube nicht, dass mich überhaupt jemand wahrgenommen hat.«
    »Natürlich hat man dich wahrgenommen. Wie kann man dich übersehen?« Sie errötet noch stärker. Sandra Dee in Die Sommerinsel. »Vergiss nicht, dass die Karriere vieler großer Filmstars in irgendeiner Tanzgruppe begonnen hat.«
    »Wirklich?«
    »Na klar.«
    Sie hat hohe Wangenknochen; ihr blondes Haar ist zu einem dicken Zopf geflochten, und ihre Lippen sind mit einem glänzenden korallenfarbenen Lippenstift bemalt. 1960 hätte sie toupiertes Haar gehabt oder einen Pixie-Schnitt getragen. Mein Blick wandert zu ihrem Hemdblusenkleid mit dem breiten weißen Gürtel. Sie trägt eine Perlenkette – vermutlich Modeschmuck.
    Andererseits hätte sie meine Einladung 1960 wohl kaum angenommen.
    Wir sitzen in einer fast leeren Eckkneipe in West-Philadelphia, nur wenige Häuserblocks vom Schuylkill River entfernt.
    »Okay. Wer ist deine Lieblingsschauspielerin?«, frage ich.
    Sie strahlt. Diese Frage- und Antwortspiele gefallen ihr. Sie denkt kurz nach. »Sandra Bullock finde ich klasse.«
    »Na bitte. Sandy hat auch mit Fernsehfilmen angefangen.«
    »Sandy? Sie kennen sie?«
    »Na klar.«
    »Und sie hat wirklich Fernsehfilme gemacht?«
    »Bionic Showdown. 1989. Dieser schreckliche Film über internationale Intrigen und bionische Bedrohungen bei den World Unity Games. Sandy spielte das Mädchen im Rollstuhl.«
    »Kennen Sie viele Schauspieler?«
    »Fast alle.« Ich umfasse ihre Hand. Ihre Haut ist weich und makellos. »Und weißt du, was sie alle gemeinsam haben?«
    »Was denn?«
    »Weißt du, was sie alle mit dir gemeinsam haben?«
    Sie kichert und stampft mit dem Fuß auf. »Sagen Sie's mir!«
    »Alle haben makellose Haut.«
    Instinktiv hebt sie die freie Hand und streicht sich über die Wange.
    »Ja«, füge ich hinzu. »Wenn die Kamera nämlich ganz nah an die Schauspielerinnen heranfährt, kann kein Make-up der Welt strahlend schöne Haut ersetzen.«
    Sie schaut an mir vorbei und wirft einen Blick in den Spiegel der Kneipe.
    »Denk mal darüber nach. Alle großen Leinwandlegenden hatten schöne Haut«, sage ich. »Ingrid Bergmann, Greta Garbo, Rita Hayworth, Vivien Leigh, Ava Gardner. Filmstars leben für Nahaufnahmen, und Nahaufnahmen lügen nicht.«
    Ich sehe, dass ihr einige der Namen unbekannt sind. Schade. Die meisten Jugendlichen ihres Alters glauben, Kino habe mit Titanic begonnen und der Ruhm eines Stars lasse sich anhand der Anzahl seiner Besuche in abendlichen Talkshows erkennen. Genies wie Fellini, Kurosawa, Wilder, Lean, Kubrick und Hitchcock sind nie bei einer Talkshow gewesen.
    Es geht nicht um das Talent, sondern darum, berühmt zu sein. Für Leute ihres Alters ist Ruhm wie eine Droge. Sie will ihn. Sie giert danach. So wie alle auf die eine oder andere Weise. Deshalb sitzt sie hier mit mir zusammen. Ich verkörpere das Versprechen auf Ruhm.
    Doch am Ende dieser Nacht werde ich dafür sorgen, dass ein Teil ihres Traums in Erfüllung geht.
    ***
    Das Motelzimmer ist klein und klamm und bescheiden eingerichtet. Wie in den Filmen von Ken Loach über die Schotten aus der Arbeiterschicht. Ein französisches Bett und vergammelte, an die Wände genagelte Holzfaserplatten, die mit verträumten Flusslandschaften bemalt sind. Die Bettdecke ist mit Stockflecken übersät und von Motten zerfressen – ein hässliches Stück Stoff, das von Tausenden heimlicher Treffen erzählt. Im Teppich lebt der muffige Geruch menschlicher
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