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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen
Autoren: Ellis Peters
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aus diesen Kleidern emporgehoben, und er ließ sie fallen, weil er sie nicht mehr brauchte. 0 Vater, dieses Wunder ist so gewaltig, daß es mir angst macht!« rief Bruder Richard, wobei er jene herrliche, segensreiche Scheu vor allem, was heilig ist, meinte. Nie zuvor hatte er sich so gewandt ausgedrückt - nie zuvor war er so tief bewegt gewesen.
    »Jetzt erinnere ich mich an sein Gebet - gestern abend nach der Komplet«, sagte der Prior erschüttert und geläutert (was keineswegs sein Fehler war!). »Er bat die Heilige, sie möge ihn aus dieser Welt emportragen, wenn sie ihn einer solchen Gnade für würdig erachtete. Ist es möglich, daß er in so hohem Maße gesegnet und würdig war?«
    »Vater, sollen wir nach ihm suchen - in den Wäldern?«
    »Wozu?« entgegnete der Prior. »Würde er denn nackt durch die Nacht laufen? Ein vernünftiger Mann? Und selbst wenn er den Verstand verloren und seine Kleider abgelegt hätte - würden sie so hier liegen - als würde sein Körper immer noch darin stecken? Es ist unmöglich, sich auf diese Weise auszuziehen. Nein, er ist jenseits dieser Wälder, jenseits dieser Welt. Eine unfaßbare Gnade wurde ihm zuteil, denn St. Winifred hat seine heißen Gebete erhört. Wir wollen eine Messe für Bruder Columbanus lesen, bevor wir die heilige Jungfrau, die ihn zu ihrem Herold ernannte, mit uns nehmen und der Menschheit dieses hehre Wunder verkünden.«
    Man konnte nicht wissen, in welcher Phase des Geschehens die Überlegung, welchen Nutzen man aus diesem Wunder ziehen konnte, den ehrlichen Glauben und die echten Gefühle in den Hintergrund von Prior Roberts Bewußtsein drängte und ihn bewog, die Ereignisse seinem eigenen Ruhm zuliebe zu manipulieren. Ein solches Verhalten war keineswegs inkonsequent. Er glaubte felsenfest, daß Bruder Columbanus lebend aus dieser Welt emporgetragen worden war, so wie er es gewünscht hatte. Doch es war nicht nur eine gute Gelegenheit, sondern geradezu seine Pflicht, das Beste aus diesem exemplarischen Gnadenbeweis zu machen und das Kloster des heiligen Peter und des heiligen Paul in Shrewsbury zu glorifizieren. Und es war nicht nur seine Pflicht, sondern seine höchste Freude, auch sein eigenes Haupt mit einem Heiligenschein zu umgeben, nachdem er diese Pilgerfahrt veranlaßt hatte.
    Und das tat er auch. Er las die Messe im Brustton gesegneter Überzeugung, in einer Wolke aus weißen Blüten, Bruder Columbanus' Kutte zu seinen Füßen. Natürlich würde er Vater Huw bitten, auch Griffith ap Rhys zu informieren und die Augen offenzuhalten, falls sich noch irgendwelche aufschlußreichen Spuren finden sollten, nachdem die Brüder von Shrewsbury abgereist waren. Prior Robert war das Produkt seines Glaubens und seiner Herkunft, seiner Erziehung zu heiligem Ernst und willkürlicher Herrschaft, und er konnte nichts von alledem abschütteln.
    Reglos standen die Leute von Gwytherin in der Kapelle, keiner sagte ein Wort, keiner äußerte seine Meinung. Ihre Anwesenheit und ihr Schweigen wurden als gläubige Demut gewertet. Was sie wirklich dachten, behielten sie für sich.
    »Nun«, sagte Prior Robert, fast zu Tränen gerührt, »wollen wir die heilige Bürde auf unsere Schultern laden und Gott für die Last danken, die wir tragen dürfen.« Und er trat vor, um seine eigenen zarten Hände und seine schmale Schulter anzubieten, als erster Sargträger.
    Dies war der schlimmste Augenblick für Bruder Cadfael, denn er hatte einen wichtigen Faktor übersehen. Doch Bened ergriff genau im richtigen Moment die Initiative. »Soll Gwytherin zurückstehen - jetzt, wo wir Frieden geschlossen haben?« Und er rannte nach vorn und schob seine kräftige Schulter unter das Reliquiar, bevor sich der Prior bücken konnte. Und dann eilte ein Dutzend anderer Männer herbei, ebenso kräftig gebaut wie der Schmied, um die Herausforderung anzunehmen. Außer Cadfael war Jerome der einzige Mönch aus Shrewsbury, der ein winziges Eckchen des Schreins für seinen Nacken reservieren konnte. Er war etwa genauso groß und kräftig wie die anderen - doch er schrie als einziger auf - erstaunt über das enorme Gewicht des Reliquiars. Tief beugte er sich unter der drückenden Last, bis Bened näher an ihn heranrückte und ihm einen Großteil der Bürde abnahm.
    »Verzeih, Vater Prior - aber wer hätte gedacht, daß diese zarten Gebeine so schwer sein könnten?«
    »Wir sind hier von Wundern umgeben« erklärte Cadfael hastig, »von großen und von kleinen. Der Vater Prior sagte doch, wir
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