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Im Namen der Heiligen

Im Namen der Heiligen

Titel: Im Namen der Heiligen
Autoren: Ellis Peters
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selbst stammte aus einem alten Waliser Geschlecht, das nichts von übermenschlichen Ambitionen hielt. Und so tolerierte er Bruder Columbanus mit Gleichmut und verarztete ihn bei gelegentlichen Exzessen mit philosophischer Geduld. Der Saft der Mohnpflanzen hatte Bruder Columbanus schon oft besänftigt, wenn er von seinem religiösen Fieberwahn befallen war.
    Nun, der andere junge Bruder hatte nichts für solchen Unsinn übrig. Bruder John war so unkompliziert und alltäglich wie sein Name, ein vierschrötiger Bursche mit Stupsnase und einem unbezähmbaren Ring aus drahtigen roten Locken, rund um die Tonsur. Er war stets hungrig, und sein Hauptinteresse galt der Frage, ob die Pflanzen im Garten eßbar und von erfreulichem Geschmack waren. Im Herbst würde er sicher einen Weg finden, um sich Zugang zum Obstgarten zu verschaffen. Nun begnügte er sich damit, Bruder Cadfael zu helfen, jungen Salat umzupflanzen und auf die Reifezeit der saftigen Früchte zu warten. Er war ein netter, gutmütiger, fröhlicher Bursche, den es möglicherweise durch einen unbegreiflichen Irrtum ins Kloster verschlagen und der noch nicht begriffen hatte, daß er hier fehl am Platz war. Bruder Cadfael hatte einen gewissen Hang zur Spitzbüberei in Bruder John entdeckt, also eine verwandte Seele, die sich allerdings noch nicht richtig entfaltet hatte. Aber er war überzeugt, daß dieser rote Vogel bald fliegen lernen würde. Und bis dahin würde er sich amüsieren, wo immer sich eine Gelegenheit ergab, und sein Vergnügen manchmal an unerwarteter Stelle finden.
    »Ich muß mich beeilen«, sagte er, wischte sich die Hände an seiner Kutte ab und strich sie sorgfältig glatt. »In dieser Woche bin ich der Vorleser.« Ja, natürlich, erinnerte sich Cadfael. Und so langweilig die Passagen auch waren, die man für Bruder John im Refektorium ausgesucht hatte, so harmlos die Märtyrer und Heiligen auch sein mochten, denen das jeweilige Kapitel geweiht war - John würde ihnen dramatisches Leben einhauchen. Sollte man ihm jemals gestatten, die Geschichte über die Enthauptung des Heiligen Johannes des Täufers vorzulesen, das Kloster würde in seinen Grundfesten erzittern.
    »Du liest uns zur Ehre Gottes und der Heiligen vor, Bruder«, erinnerte ihn Columbanus mit liebevollem Tadel und leicht imitierender Unterwürfigkeit, »nicht zu deiner eigenen.«
    »Mein Geist ist stets von gesegneten Gedanken erfüllt«, entgegnete John, von unbeirrbarem Frohsinn erfüllt, zwinkerte Cadfael hinter dem Rücken seines Kollegen zu und eilte beschwingt zum Tor der Abtei. Sie folgten ihm etwas langsamer, der blonde schlanke Jüngling und der siebenundfünfzigjährige Veteran mit der breiten Brust und den O-Beinen. War ich jemals so jung und ernsthaft wie dieser Bursche, fragte sich Cadfael, während er mit seinem schlingernden Seemannsgang an der Seite des Normannen blieb, der mit langen geschmeidigen Schritten dem schmalen Weg zwischen den Büschen folgte. Er konnte kaum glauben, daß Columbanus immerhin schon fünfundzwanzig war und aus einem vornehmen, ambitionierten Haus stammte, dessen Vermögen sicher nicht ausschließlich auf frommen Taten basierte.
    Diese dritte Messe des Tages war kurz, und danach verließen die Benediktinermönche der Shrewsbury-Abtei in geordneten Reihen den Kirchenchor und gingen in den Kapitelsaal, wo sie ihre Bänke aufsuchten, angeführt von Abt Heribert. Er war alt, von mildem, nachgiebigem Wesen, ein sanftmütiger, grauhaariger Asket, der in harmonischem Frieden zu leben wünschte. Seine Gestalt war nicht besonders eindrucksvoll, aber sein Gesicht, das stets liebevolle Besorgnis widerspiegelte, wirkte sehr anziehend. Novizen und Schüler fühlten sich wohl in seiner Nähe - wenn sie in diesen Genuß kamen, was nicht so einfach war, denn der furchterregende Prior Robert pflegte ihn abzuschirmen.
    Prior Robert Pennant, in dessen Adern walisisches und englisches Blut floß, war über einen Meter achtzig groß, dünn und sehr gelenkig. Mit seinen fünfzig Jahren hatte er bereits silbergraues Haar und ein schmales schönes Gesicht mit aristokratischen Zügen und hoher Stirn. In den Grafschaften der Midlands gab es keinen zweiten Mann, der so großartig mit einer Mitra aussah und in seiner Autorität so überirdisch wirkte - und es gab auch keinen Mann in ganz England, der dies besser wußte und entschlossener war, es bei jeder Gelegenheit zu demonstrieren. Alle seine Bewegungen unterstrichen die bischöfliche Würde, als er durch den
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