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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Autoren: Brigitte Biermann
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Heizen hatte mir Herr Gehrke gezeigt, der Hausmeister, der ein paar Straßen weiter wohnte.
    Das war Drecksarbeit, bei der ich natürlich nicht sauber bleiben konnte. Also bekam ich eine Trainingshose und für den Sommer eine kurze Lederhose aus dem Westen, die brauchte man nicht zu waschen. Nein, ich wurde nicht wie ein Junge erzogen, es war einfach praktisch. In einem Kleid zu heizen und zu putzen wäre lächerlich gewesen.
    Meine Schwester war für die Pflege des Vorgartens zuständig, den Rest unserer Verpflichtungen entnahmen wir einer Liste, die meine Mutter für jeden Tag erstellte.
    Sonntags gingen wir in die Kirche, nach der Schule zum Religionsunterricht, und immer baten wir den lieben Gott um mehr Geld.
    Mit neun Jahren hatte ich Erstkommunion, wie es sich gehört in weißem Kleid mit weißer Kerze. Von da an ging man jeden Sonntag zur Kommunion. Um sich aber vorn die Oblate abzuholen, musste man nüchtern sein. Wir sind halb acht aufgestanden, um pünktlich neun Uhr in der Kirche zu sein, viertel vor elf waren die Messe und wir am Ende. Wir hatten ohnehin immer Hunger, waren klein und dünn. Etliche Male sind die Antoni-Mädchen in der Kirchenbank vor Hunger umgesunken. Vielleicht lege ich deshalb bis heute Wert auf ein gutes Frühstück. Jedenfalls holte meine Mutter beim Kaplan die Erlaubnis ein, dass wir vor der Messe etwas essen durften.
    Ihre Versuche, einen neuen Mann für sich und für uns einen Vater zu finden, scheiterten. Also blieben wir allein. Meine Mutter begann zu rauchen, auch mal einen Kummerschluck zu nehmen. Das hatte eine Magenoperation zur Folge, ein Drittel ihres Magens wurde entfernt. Meine Oma und wir Mädchen begleiteten sie ins Krankenhaus. Nachdem wir uns von Mutter verabschiedet hatten, drückte eine Krankenschwester unserer Oma ein Beutelchen mit Mutters Schmuck in die Hand. »Falls sie es nicht schafft«, sagte sie zu Oma. Was diese sehr erschreckte.
    Meine Mutter hat es geschafft, war aber nicht mehr so belastbar. Ich glaube, sie resignierte ein bisschen. Es gab viele Männer, die sie erobern wollten, aber keinen zum Heiraten. Hin und wieder flog auch einer aus der Wohnung. Heute verstehe ich meine Mutter, damals verstörten mich solche Erlebnisse.

Kinderfernsehen und erwachsen werden
    Als ich zehn Jahre alt war, änderte sich vieles. Eine Frau vom Kinderfernsehen erschien in der Schule, sie suchte Kinder, die ohne Hemmungen sprechen, singen und etwas vortragen konnten. Die Lehrerin zeigte auf mich. Am nächsten Tag marschierte ich zum Fernsehfunk, von unserem Haus brauchte ich nicht länger als zwanzig Minuten.
    1953 war das Studio 1 des Deutschen Fernsehfunks in Adlershof eröffnet worden, ab 1956 wurde ein reguläres Programm gesendet. Sendungen für Kinder und Jugendliche gehörten von Beginn an dazu, in der ersten Zeit etwa 50 Minuten pro Woche. Die Darstellerkinder wohnten in der Nähe des Fernsehfunks, soziale Herkunft und schulische Leistungen spielten keine große Rolle bei der Auswahl, wichtig war nur, dass wir Lust am Spiel hatten und natürlich blieben. Das war bei mir gegeben.
    So unbekümmert und zuversichtlich, wie ich Kochen, Heizen und Eiskunstlaufen gelernt hatte, so lernte ich nun, vor der Kamera zu agieren. Ich glaube, ich bestach durch meine Frechheit und das fehlende Lampenfieber.
    Es begann mit einer Reportage über schlechte Schüler, ich sang eine Moritat, machte mit bei einem Berufe-Rate-Quiz für Kinder, spielte eine Märchenfigur. Ich wurde gelobt, und binnen weniger Wochen war ich beachtet und begehrt, das Beste aber: Ich verdiente Geld. Das steigerte mein Ansehen innerhalb unserer Familie enorm, denn nun stand ich nicht mehr im Schatten meiner schönen älteren Schwester.
    Es folgten größere Sendungen, erste Serien, ich war überall dabei. Im Frühjahr 1959, ich war dreizehn, begann ein Experiment, aus dem eine gern gesehene Reihe wurde: Das Kinderkabarett Die Blauen Blitze . Sonntags von zehn bis elf wurde es live ausgestrahlt. Mein Freund Ingo hieß Zack, ein anderes Mädchen, Marlies, war Zuck und ich Zick. Wie der liebe Gott wohnten wir auf einer Wolke und deckten von dort Unzulänglichkeiten und Fehler bei den Pionieren auf der Erde auf: Wenn Kinder keine Altstoffe sammeln wollten oder keine Lust hatten, eine Wandzeitung zu gestalten, wenn sich einige in der Schule immer wieder prügelten und den Unterricht störten. In jeder Folge gab es zehn bis fünfzehn gereimte und ungereimte Szenen aus dem Schulalltag und dem Leben Junger
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