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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Autoren: Brigitte Biermann
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Pioniere:
    »Die Blauen Blitze Zick, Zack, Zuck,
    die schlagen plötzlich ein.
    Sie fahren – sssst – mit einem Ruck
    den Sündern ins Gebein.
    Wer angibt oder albern ist,
    den stellen wir euch vor.
    Wer Fleiß und Höflichkeit vergisst,
    den nehmen wir beim Ohr.«
    Ich fand das überhaupt nicht seltsam, sondern meist lustig, wir haben bei den Produktionen viel gelacht. Aber beim Umgang mit den Fernsehleuten beobachtete ich zum ersten Mal, dass etliche mit zwei Zungen redeten: Es gab eine offizielle und eine private Sprache. Ich begann, die Widersprüche des Lebens in der DDR zu begreifen, denen ich mich später stellen musste.
    Ich spielte also einen Jungen Pionier mit weißer Bluse und blauem Halstuch, war aber keiner. In der Schule hatte ich verkündet, meine Mutter sei Pazifistin und wünsche das nicht. Keine Ahnung, was Pazifistin bedeutet, habe ich es so vorgetragen, als sei meine Mutter Theologin und ihr Wort Gesetz. Erstaunlicherweise bin ich damit erst einmal durchgekommen.
    Nun allerdings musste sich das ändern. Ausschließlich die finanzielle Situation unserer Familie bewog meine Mutter, von ihrem Credo abzurücken und zuzustimmen, dass ich Pionier wurde. Denn das Geld, das ich verdiente, sicherte uns fast das tägliche Brot. Als ich dreizehn oder vierzehn war, kaufte ich den ersten Fernseher, einen Dürer. Der kostete ungefähr das Zehnfache eines Durchschnittslohnes. Damit konnte meine Familie endlich verfolgen, was ich spielte. Wenn auch auf winzigem Bildschirm – 27 mal 36 cm – und in Schwarz-Weiß, aber immerhin.
    Einen Kühlschrank für uns und ein altes Klavier für mich kaufte ich ebenfalls von meinen Gagen.
    Meist bin ich gleich nach der Schule in die Kinderbaracke gegangen. Eine Kinderbetreuerin beaufsichtigte die Schularbeiten, gab uns die Texte, probte mit uns. Dann zog uns eine Kostümfrau an, und schon ging es auf Sendung, alles live, weil man noch nicht aufzeichnen konnte.
    Leuchtete an der Kamera ein rotes Licht, ging es los. Man konnte das Knattern vom Fahren der Kamera hören. Die Tonmenschen hielten den Galgen, also das Mikrofon, und andere Mitarbeiter zeigten Karten, auf denen Hinweise standen: »Sprich über ...,« »Nicht vergessen ...«, »Jetzt sag ...«. Ich redete wie aufgezogen, guckte auf den Zettel, schaltete im Kopf um, redete weiter.
    Versprach ich mich, machte ich völlig unaufgeregt ein Extempore, das heißt, ich improvisierte in die Situation hinein, quasselte ungeniert weiter. Mir kam sicher zugute, dass meine Mutter streng auf Hochdeutsch und gute Aussprache geachtet hatte. Niemals durften wir berlinern. Und wenn wir Slang sprachen, hörten wir: »Würdest du bitte ein anderes Wort dafür wählen! Gib dir ein bisschen Mühe!«
    Später assistierte ich Professor Flimmrich, indem ich den Märchenfilm einlegte. Professor Flimmrich hieß Walter E. Fuß, und von 1959 bis zum Ende des DDR -Fernsehens berichtete er zunächst montags, dann samstags in der Flimmerstunde über neue Kinder- und Märchenfilme, zeigte Spielfilme, auch mal Reportagen oder Dokumentationen. Häufig diskutierte er mit Kindern und Jugendlichen im Studio über die Filme.
    Ein ebenso fester Programmpunkt war Taddeus Punkt, den Heinz Fülfe gab. Er war der malende Märchenonkel, der mit seinen lustigen Geschichten zum Sandmännchen und zu Flax und Krümel gehörte. Ich war seine Sonderreporterin, beim Abendgruß sprach ich den Kasperle und den kleinen Maulwurf. Ich spielte im Jugendbasar mit dem blutjungen Dieter Mann und 1959, mit knapp vierzehn Jahren, in dem Musical Der Dieb im Warenhaus .
    Jedes Jahr im Mai fand die Friedensfahrt statt, die durch die DDR , Polen und die Tschechoslowakei führte. Die Friedensfahrer fuhren natürlich auch durch Berlin, und ich durfte einmal den Studiogast Täve Schur interviewen. Der Radrennfahrer war so berühmt wie die Klitschkos heute. 1961 begrüßte ich in einer Live-Sendung den ersten Kosmonauten Juri Gagarin; wir standen am Adlergestell, der breiten Ausfallstraße nach Süden, auf einem Holzturm, den man extra für die Kamera gebaut hatte. Das war eine besondere Situation, und ich war zum ersten Mal richtig aufgeregt.
    In den Drehpausen aß ich mit Meister Briefmarke, Meister Nadelöhr, Karl-Eduard von Schnitzler und all den anderen Fernsehgrößen in der Kantine im Turmkasino Bockwurst mit Brot. Schnitzler moderierte von Anfang an eine politische Fernsehdiskussion mit westlichen Journalisten, ab 1960 dann dreißig Jahre lang jeden Montag den Schwarzen Kanal
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