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Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)

Titel: Im Leben gibt es keine Proben (German Edition)
Autoren: Brigitte Biermann
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nicht zu klären waren, drohte sie mit der Kellertreppe. Sie schloss dann hinter mir die Tür, und ich hockte auf der zweiten Stufe im Dunkeln, denn um das Licht anzuknipsen, hätte man die Stiege hinunter gemusst, dorthin, wo die Briketts, das Werkzeug und das Eingemachte von Oma lagerte – Obst, Gemüse, Regale voll Apfelmus – und wo das Gruseln lauerte!
    Heute verstehe ich, dass wir manchmal bestraft werden mussten. Wir klauten in der Laubenkolonie vor dem Wald nicht nur Blumen, sondern auch Obst und Gemüse, um unsere Hungeranfälle zu besänftigen. Manchmal erwischte uns der Abschnittsbevollmächtigte, und wenn der petzte, gab es Stubenarrest. Dabei waren wir mehr als einmal mit einem flotten Durchfall genug bestraft gewesen, denn uns war es egal, ob die geklauten Äpfel reif oder noch grün waren. Einmal kam er zu uns, um sich bei meiner Mutter zu beschweren. Er legte seine grüne Mütze auf ihr Bügelbrett, und ich klaubte die restlichen der gemopsten Schoten aus meiner Tasche und tat sie in die Mütze. Später haben wir darüber gelacht, und seitdem nannten wir ihn »Schotentopp«.
    Stubenarrest erschien uns wie die Hölle. Nicht rausgehen dürfen zu der Clique, kein Rumturnen an der Klopfstange, kein heimlicher Treff am alten Bunker, keine Bücherei, kein Völkerball, dazu die Scham vor den anderen, wenn meine Mutter an der Tür absagte: »Sie haben Stubenarrest.« Das empfanden wir als Freiheitsberaubung, obwohl wir das Wort dafür noch nicht kannten. Eine weitere schlimme Strafe hieß Kinosperre, denn zum Sonntag gehörte, dass jede von uns 25 Pfennige bekam, um ins nahe Kino zu gehen.
    Meine Mutter nahm viele Arbeiten an, um uns durchzubringen. Wir hatten sehr wenig Geld, immer zu wenig, und das macht erfinderisch. Bis 1958, da war ich zwölf, dreizehn, gab es für Fleisch, Fett, Zucker Lebensmittelkarten. Als wir noch kleiner waren, legte sie, bevor sie zur Arbeit ging, ein paar Lebensmittel auf den Tisch und sagte, macht euch was daraus. Meine Schwester hatte wenig Lust zum Kochen, aber ich erklärte die Küche zu meinem Reich und konnte mit zehn Jahren schon ganz gut kochen und improvisieren. Aus einem Teig aus Brot, Milch und Zucker, beidseitig gebacken, machte ich Eierkuchen. Aus Kartoffeln, einer Mohrrübe und Binowürfeln kochte ich Suppe. Senfeier gelangen mir gut, und Bockwurst oder Bratwurst reicherte ich mit einer Soße aus Bier, Brühwürfeln und Senf an.
    In meine Klasse ging der Sohn vom Gemüsehändler um die Ecke. Tag für Tag musste er nach der Schule seinem Vater helfen. Er hat hart gearbeitet, immer die schweren Kisten geschleppt. Wir halfen ihm in der Schule, dafür durften wir uns gelegentlich bei ihm eine Portion Sauerkraut für zehn Pfennige abholen, das in einer gedrehten, spitzen Tüte aus Zeitungspapier verkauft wurde. Ich musste dann schnell nach Hause rennen, sonst wäre die ganze Tasche nass geworden. Unterwegs hab ich immer mal kräftig davon gefuttert, es schmeckte herrlich. Ab und zu bekam ich von ihm auch kaputte Kisten für Kleinholz zum Anheizen.
    Sauerkraut und Kartoffeln, Schmorgurken und Quetschkartoffeln machten ebenfalls satt. Im Sommer gab es dazu Gurken- oder Tomatensalat. Wenn ich Schlompse – also Bonbons – machte, stank die Küche fürchterlich, aber sie schmeckten uns gut: Dazu wird Zucker in der Pfanne karamellisiert. Tauchten wir Stäbchen in die heiße Masse und ließen sie abkühlen, entstanden eine Art Lutscher.
    Einmal bekam unser Goldhamster Baldur die Lebensmittelmarken zu fassen. Wir waren furchtbar erschrocken, denn für diese Karten gab es keinen Ersatz, und wir drei brauchten sie dringend, um zu überleben. Meine Schwester und ich warteten, bis Baldur geruhte, seine Backentaschen zu leeren. Mit diesem feuchten Knäuel, in dem immerhin noch einzelne Abschnitte erkennbar waren, fuhren wir nach Schöneweide zur Kartenstelle. Wir müssen einen so erbarmungswürdigen Eindruck auf die Frau hinter dem Schalter gemacht haben, dass sie uns neue Karten aushändigte.
    So wurde die Küche meine Hauspflicht und bald auch die Heizung im Keller. Ich heizte, bevor ich zur Schule ging. Es gelang mir leicht, ein wenig Holz und Papier so zum Glühen zu bringen, dass sich der Braunkohlengruß entzündete. Dann musste ich im richtigen Moment den Schieber schließen, sonst donnerte die Hitze durch das ganze Haus. Damit die Braunkohle nicht die Rohre verdreckte, füllte ich regelmäßig in jedem Zimmer das Wasser in den Röhren auf, das durch das Haus zirkulierte.
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