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Im Land des Falkengottes. Amenophis

Im Land des Falkengottes. Amenophis

Titel: Im Land des Falkengottes. Amenophis
Autoren: Andreas Schramek
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noch viel vollkommener, als Ti mir eine gesunde Tochter gebar. Ti gab ihr den Namen Mutnedjemet.
    Die Tage und Nächte vor der Geburt waren Tage und Nächte der Ängste und Qualen für mich, und ich weiß heute nicht mehr, was ich allen Göttern der Beiden Länder, was ich Anubis versprach, wenn Ti die Geburt gut überstehen würde. Aber ich hielt meine Versprechen.
     
    Anen hatte mich schon einmal gewarnt. Jetzt kam er wieder, um mich zu warnen. Ich weiß nicht, welche geheimnisvollen Kräfte es waren, die den Priestern des Amun ihr Wissen gaben. Unser Land war schon immer von Magie beherrscht, von Zauberglauben und von «Dingen», wie die einfachen Menschen sagten.
    «Herr, es geschehen Dinge», pflegte auch eine meiner Dienerinnen immer zu sagen, wenn sie für die einfachsten Erscheinungen keine Erklärung wusste.
    Die Priester des Amun hätten wirklich über solche Kräfte verfügen müssen, wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass es Zauberei eben nicht gibt.
    Doch genau das war es, was den Priestern an mir missfiel: Mein angeblicher Unglaube.
    «Es wird großes Unheil über alle kommen, die freveln», flüsterte mir Anen zu, während wir im Schatten von Palmen, Sykomoren und Granatapfelbäumen durch meinen Garten gingen.
    «Willst du mir nicht verraten, Anen, wer frevelt?» Mit vorgeschobenem Unterkiefer und zusammengezogenen Augenbrauen blickte ich ihn herausfordernd an.
    «Du solltest dich nicht über mich lustig machen, Eje. Es ist mir sehr ernst. Wenn ich dir sage, dass du, deine Kinder, dass selbst der Gute Gott, er lebe, sei heil und gesund, dass selbst Pharao und seine Familie in Gefahr sind, wenn   …»
    «Wenn was», unterbrach ich ihn barsch, weil ich genug hatte von dieser Geheimniskrämerei.
    «Glaubst du, wir wüssten nicht, worüber hier gesprochen wird, Eje? Dass hier, in diesem Palast, die Existenz verschiedener Gottheiten schlichtweg geleugnet wird, dass man hier an der Größe und Einzigartigkeit Amuns zweifelt und darüber geredet wird, dass seine Priester zu mächtig seien! Wir wissen, dass Pharao die Gespinste seines Sohnes nicht nur duldet, sondern dich, einen uns bekannten Zweifler, auch noch zu dessen Erzieher macht. Im Hause Amuns hat man zur Kenntnis genommen, dass Nimurias Palast nicht diesseits des Flusses, in der Nachbarschaft seines Vaters Amun, sondern jenseits des Flusses steht. Glaube mir, Eje, wir sind nicht blind. Meine familiären Bande zum Thron und zu dir lassen mich vor den Priestern über Vieles schweigen, und schon mehr als einmal habe ich versucht, dein Tun herunterzuspielen. Das brachte auch mich in Gefahr. Nur um deiner selbst willen muss ich dir all dies sagen.»
    Dann schwiegen wir lange.
    «Muss ich Nimuria warnen?», unterbrach ich unser Schweigen.
    Der hagere, ausgemergelte Anen sah mich mit leblosen Augen an. Nicht wie die Augen der Liebenden, die Leben verheißen, sahen sie mich an. Die Blicke seiner Augen verhießen den Tod.
    «Warne ihn! Ja, warne ihn! Aber es wird zu spät sein, Eje. Zu spät für euch beide. Mehr kann ich nicht sagen.»
    Wieder sahen wir uns schweigend an.
    «Ich verstehe, Anen. Nun geh! Du bist schon zu lange hier.»
    Wir umarmten uns nur kurz, dann ging Anen fort. So unauffällig, wie er gekommen war, verließ er meinen Garten und ging zurück in seinen Tempel.
    Am anderen Morgen fand man die Leiche Anens am Fuße des großen Torturms, welchen Nimuria zur größeren Ehre Amuns am westlichen Ausgang des Tempels errichtet hatte.
    Niemand konnte verstehen, weshalb sich Anen das Leben genommen hatte. Ich glaubte nie daran.
    Von dort, wo man Anens Leiche fand, konnte man hinübersehen zum Palast der Goldenen Sonne. Sie hatten Pharao Anens Leiche vor die Füße geworfen.
     
    Der schönste Tempel, den Amenophis je errichten ließ, das südliche Ipet, war vollendet.
    So, wie es schon Pharao Hatschepsut Maat-ka-Re vorschwebte, wurde das einstmals bescheidene Amunheiligtum in nord-südlicher Richtung mit dem großen Tempel Amuns durch eine unendlich lange Allee von Widdersphingen verbunden. Sie begann am südlichen Torturm der Tempelanlage und führte erst zum Tempel der Mut, machte vor dessen Haupteingang einen Knick nach Westen, um sich nach wenigen hundert Ellen in südliche Richtung bis zum neuen Tempel fortzusetzen. Sphingen waren aneinandergereiht, aus feinstem Sandstein gehauen, vom Tempel der Mut bis zum südlichen Heiligtum waren es rechts und links je dreihundertfünfundsechzig, eine für jeden Tag des Jahres. In den
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