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Im Land des Falkengottes. Amenophis

Im Land des Falkengottes. Amenophis

Titel: Im Land des Falkengottes. Amenophis
Autoren: Andreas Schramek
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Staub.
    «Weißt du, wer ich bin?», fragte Pharao und beugte sich etwas nach rechts, um den Jungen sehen zu können.
    «Ja, Majestät. Ihr seid der Gute Gott, Eje Cheper-chepru-Re. Ihr lebet, seid heil und gesund», antwortete der Junge so schnell, dass er sich beinahe beim Thronnamen Pharaos verhaspelt hätte.
    «Du hast mich also angesehen», stellte Pharao fest.
    «Nein, Majestät, das ist doch ohne Eure ausdrückliche Erlaubnis verboten.»
    Der alte Mann lächelte milde und sagte: «Woher weißt du dann, wer ich bin?»
    Der Junge bekam Angst und wusste nicht, was er sagen sollte, ohne sich noch tiefer ins Verderben zu stürzen, und schwieg.
    «Steh auf», befahl Eje und beugte sich noch weiter über den Rand der Sänfte.
    «Sieh mich an!»
    Nur langsam hob der Junge den Kopf. Eje sah, wie seine Nasenflügel bebten, wie er aus Furcht die Lippen zusammenpresste und der Knabe ihm dennoch gerade in die trüben Augen sah.
    «Wie heißt du?»
    «Nacht-Min, Majestät», gab der Junge jetzt mit ruhiger Stimme zur Antwort, spürte er doch, dass Pharao keinen Groll gegen ihn hegte.
    «Hast du im Grab gearbeitet?»
    «Nein, Majestät. Ich brachte meinem Vater gerade Farben hierher, die er in der Siedlung vergessen hatte.»
    «Dann begleite mich», befahl Eje knapp. Ein Wink seiner Hand genügte, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Vor einer schroffen Felswand, an deren Fuß sich ein unscheinbarer höhlenartiger Eingang befand, hielt er an.
    «Gib mir deine Hand», befahl Pharao, doch seine freundliche Stimme verwandelte den Befehl in eine höfliche Bitte. Nacht-Min hob seinen rechten Arm und spürte sogleich die knöcherne Hand des alten Mannes, die trotz der Hitze, die schon früh am Morgen herrschte, kalt war.
    «Alle sollen das Grab verlassen», sagte Pharao jetzt mit klarer und fester Stimme, und sein Befehl wurde sofort in das Innere des Berges weitergegeben. Es dauerte nur wenige Augenblicke, und zwölf Arbeiter traten ins Tageslicht.
    «Nimm dir eine Fackel und führe mich jetzt hinein, Nacht-Min. Ihr anderen wartet hier!»
    Die Wächter sahen erstaunt in die Runde und hoben fragend die Schultern an. Doch niemand wagte zu widersprechen.
    Nach wenigen Schritten hatte die Dunkelheit des Berges die beiden verschlungen.
    «Jetzt kommen sechs Stufen, Majestät», sagte der Junge aufgeregt, denn es überkam ihn eine große Angst, dass dem Guten Gott etwas zustoßen könnte.
    «Dass es sechs sind, ist mir bekannt. Schließlich habe ich die Pläne zu diesem Grab mit eigener Hand gefertigt. Sag mir nur, wenn wir die nächste Treppe erreichen!»
    Nach einer kurzen Weile fuhr Eje fort: «Was siehst du an den Wänden, Nacht-Min?»
    «Nur weiße Farbe, Majestät. Die Wände dieses Gangs sind unbemalt.»
    Pharao nickte zustimmend. Sie erreichten die zweite Treppe und den zweiten Gang.
    «Und hier?», fragte Eje knapp.
    «Nur weiße Wände, Majestät.»
    Eje nickte wieder.
    «Vor uns liegen jetzt zwei Holzbohlen, die über den Schacht führen, Majestät.»
    Pharao setzte vorsichtig erst seinen rechten Fuß auf das rechte der Bretter und stellte dann den zweiten daneben.
    «Schacht», sagte Eje, und der spöttische Unterton seiner Bemerkung war nicht zu überhören. «Als ob ich nicht wüsste, dass das, was du einen Schacht nennst, nicht einmal eine Elle tief ist. Aber du hast Recht, Junge. Es soll ein Schacht sein.»
    Als würde er tatsächlich einen Schacht von zehn Ellen Tiefe überqueren, tastete sich Eje in winzigen Schritten vorsichtig, ja ängstlich über die Holzbohlen, als wollte er so dem Beistand des Jungen, an dessen Arm er sich noch immer festhielt, seine Rechtfertigung geben.
    So gelangten beide in die Grabkammer.
    «Die Paviane», sagte Eje unvermittelt und wiederholte: «Die Paviane zuerst!»
    Nacht-Min genügte ein kurzer Blick, um auf der Stirnwand der Kammer die Abbildungen von zwölf hockenden Pavianen zu erkennen.
    «Hier, Majestät», antwortete der Junge, und nach wenigen Schritten standen sie vor der Wand. Eje trat noch näher an die Bilder heran und flüsterte: «Die Fackel, Nacht-Min! Die Fackel!»
    So nah wie es nur irgend ging hielt Nacht-Min die Fackel vor einen der Paviane und neben Ejes Gesicht.
    Jetzt, da Pharao sich darauf konzentrierte, etwas von der Pracht seines künftigen Grabes zu erkennen, erst jetzt konnte der Junge zum ersten Mal unbemerkt das Antlitz des Guten Gottes betrachten. Der Hals Pharaos war dünn und faltig. Aber er war nicht gekrümmt, so wenig, wie Eje auch sonst nicht
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