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Im Land des Falkengottes. Amenophis

Im Land des Falkengottes. Amenophis

Titel: Im Land des Falkengottes. Amenophis
Autoren: Andreas Schramek
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der Priester von Ober- und Unterägypten». Diesen Titel konnte der Erste der Sehenden des Amun nie erlangen.
    Nachdem Thutmosis ein Jahr in Men-nefer weilte, verstarb der Apisstier, und es herrschte große Trauer überall im Land. Während Prinz Thutmosis als Stellvertreter seines Vaters die Mumifizierung des Stieres gemäß den herrschenden Riten überwachte, reiste Nimuria mit dem Hof nach Men-nefer, um die erste feierliche Beisetzung eines dieser heiligen Tiere zu leiten, und um anschließend gemeinsam mit Prinz Thutmosis nach einem neuen Apisstier, der die heiligen Kennzeichen tragen musste, zu suchen.
    Ich erhielt von Pharao die ausdrückliche Erlaubnis, in Waset zu bleiben, während Nafteta unter der gewiss strengen Obhut meiner Schwester mit nach Norden reiste. Meine Tochter war jetzt dreizehn Jahre alt und von so bezaubernder Schönheit, dass es sicher angebracht war, ein wachsames Auge auf ihre Umgebung zu werfen. Meine Sorgen waren indes unbegründet, denn es gab nur einen, mit dem sich Nafteta beschäftigte: Prinz Amenophis.
    Und da konnte ich unbekümmert sein, denn der Prinz hatte kein Auge für die Schönheit, für die Reize Naftetas. Ihn interessierte nur ihr Geist und ihr Wissen, ihre Fähigkeit, Dinge so ähnlich zu begreifen wie er.
     
    Ti hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert. Sie hatte noch immer die mädchenhafte Figur wie vor vierzehn Jahren, als ich sie von unserem Feldzug in Nubien mitgebracht hatte. Jetzt war sie zweiunddreißig Jahre alt. Sie hatte lange Beine, war schlank geblieben und hatte ein schmales Gesicht, das von einer auffallenden, aber keineswegs störenden Hakennase geprägt war. Im Gegenteil, diese Nase verlockte dazu, sie zu berühren, zu streicheln. Ihre Brüste waren nicht mehr die einer Sechzehnjährigen, aber dafür, dass Ti Nafteta drei Jahre gestillt hatte, wirkten sie erstaunlich jugendlich. Und Ti hatte lebhafte Augen, die unentwegt fröhlich umherblitzten, jedermann freundlich ansahen und die die Augen eines ehrlichen Menschen waren. Nafteta und Ti verstanden sich gut, und obwohl Ti nur eine Amme einfacher Herkunft war, wurde sie von Nafteta stets mit dem größten Respekt und mit einer Liebenswürdigkeit behandelt, als wäre Ti ihre eigene Mutter. Jetzt, wo Nafteta selbst eine junge Frau war, redeten sie wie Schwestern miteinander, so vertraut waren sie.
    Ti wirkte an diesem Tag unruhig, ja geradezu verstört. Während ich auf meiner Terrasse saß – die königliche Flotte war früh am Morgen nach Norden abgereist und mit ihr der ganze Hof mitsamt den Prinzen, meiner Nofretete und deren Dienerschaft   –, hastete Ti auf der Terrasse und im Garten rastlos hin und her, ohne dass ich einen Sinn in ihrer Geschäftigkeit entdecken konnte.
    Ich hob meinen Kopf und sah ihr eine Weile zu, dann sagte ich mit ruhiger Stimme: «Würdest du mir bitte verraten, was mit dir los ist?»
    Ti blieb wenige Schritte vor mir wie angewurzelt stehen und starrte mich mit unruhigen Augen an. Die Flügel ihrer kleinen Hakennase bebten, und sie presste ihre Lippen zusammen, gerade so, als würde sie gleich in eine Posaune blasen.
    «Ich weiß nicht, was das soll. Ich will hier arbeiten, und du läufst hier herum wie ein Huhn, über dem ein hungriger Falke kreist», setzte ich nach.
    Ti ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten, schnaufte kräftig durch und lief dann weinend in das Innere des Palastes. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
    Erst tat ich das soeben Geschehene als närrisches Weibergehabe ab und versuchte, weiterzuarbeiten. Dann aber überfiel mich wegen meiner Gleichgültigkeit ein schlechtes Gewissen, und ich beschloss, sie aufzusuchen und mit ihr zu reden. Ein Diener verwies mich in die Gemächer meiner Tochter. Dort traf ich Ti.
    Sie lag weinend auf Naftetas Bett, und sie wusste, dass ich es war, der im Raum stand. Ohne sich mir zuzuwenden, sagte sie: «Schickt mich doch wieder zurück, jetzt, wo ihr mich nicht mehr braucht! Vierzehn Jahre war ich Tag und Nacht für Nafteta da, und kaum ist sie fünf Stunden weg, sagt Ihr, ich wäre ein Huhn. Ich habe nie ein Wort des Dankes von Euch erwartet, Herr. Aber beleidigen muss man mich nicht.»
    Jetzt schluchzte sie erbärmlich. Sie hatte Recht. Wenn ich es mir so überlegte, hatte ich ihr noch nie richtig gedankt für all ihre Mühe, die sie mit Nafteta gehabt hatte. Ich setzte mich neben sie auf das Bett, griff mit meiner linken Hand in ihr feines Haar und streichelte vorsichtig ihren Kopf.
    «Du hast Recht, Ti», sagte ich
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