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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer
Autoren: Frances Fyfield
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um, wieder ohne nachzudenken, zögerte, bückte mich, griff das Kind am Boden in Violett, riß es hoch und rannte. Rennen kann man es vielleicht kaum nennen, ich rannte, wie es Sammy tat, als sie das Laufen lernte, ein unsicheres Vorwärtstor-keln, unschön, aber zweckdienlich, voller Entschlossenheit. Ich rem-pelte zur Haustür hinaus auf die Straße und vor meine Tür, hielt das Kinn auf den Klingelknopf. Arme und Beine des Dings in meinen Armen baumelten mir lose um die Mitte, die weiße Socke war aufs Pflaster geflattert – ein poröses, übelriechendes Bündel, das ich trug, feucht an meiner Bluse. Ich schoß ins Haus, an wem auch immer vorbei, der mir öffnete, brüllend auch ich: Schnell dies, rasch das, Telefon, Telefon! Ich weiß nicht mehr, was ich anordnete, aber ich weiß, es war zusammenhängend. Außer Atem die Treppe hinauf, noch mehr gebrüllte Anweisungen: Er war dicht hinter mir her! Auf der Straße! Der Mann! Er wird versuchen, einzudringen! Meine kreischende Stimme: Bringt Mark in Sicherheit, und um Himmels willen, telefoniert um Hilfe!
    Wir sitzen mit ihr im Arbeitszimmer. Im Geiste sehe ich mich für immer dort sitzen. Ich hatte gehofft, mein Zittern könnte Bewegung, könnte Leben weitergeben, aber nichts. Immer noch nichts. Unten donnert jemand gegen die Tür, erhobene Stimmen, aber zu früh, um Rettung zu signalisieren. Ich kenne dich, meine Süße, ich wußte es, sobald ich dein Haar sah, und ich sitze hier und weine bittere Tränen ob meiner Blindheit, während die anderen um mich herum sich um die Rettung kümmern. Es gibt nichts Wichtigeres als ein kleines Leben, das meines eigenen Kindes oder das eines anderen, auch wenn es ein Leben wäre, das ich nicht beachtet hätte. Warum habe ich es nicht gewußt, warum habe ich es nicht gesehen? Welche Grausamkeit, welch sträfliche Dummheit! Ja, einen Arzt, ja. Solange ich das Kind fest im Arm halte, halte ich es warm. Tu mir das nicht an, Gott, du Ungeheuer, siehst du nicht, daß ich anfange zu lernen? Nie gab es untröstlichere, vergeblichere Tränen, nie eine so bittere Lektion über Wichtiges und Unwichtiges. Ich muß aufhören zu weinen 356
    und sie still halten, die Tränen fallen so kalt auf den blanken Stoff, und mein Gott, sie braucht Wärme. Ihr Gesichtchen ist vertraut, aber alt, so furchtbar, furchtbar alt. Unsinnigerweise kommt mir die Nutz-losigkeit von Gesichtscremes in den Sinn. Ich muß sie fest im Arm halten, damit sie die Wärme spürt, die ich ausströme. Unsere albernen Erwachsenenleben, sie zählen nichts. Bitte laß ihr die Wahlmöglichkeiten, die wir haben. Warum habe ich es nicht gemerkt? Er brüllt vor meiner Tür: »Gib sie wieder her! Sie gehört mir, mir, mir!«
    Ich gebe sie nie wieder her.
    Bald kommt Sebastian. Bald kommt Hilfe.
    Sie ist so kalt.

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    Mary erhob sich von ihrem Stuhl und klappte die Flügel des Schlaf-zimmerfensters geräuschvoll und energisch zu. Das vor kurzem noch asketisch kahle Zimmer war jetzt vollgepfropft, zu klein eigentlich für den zusätzlichen Sessel und die achtlos, aber nicht unordentlich verstreute Kleidung. Katherine saß mit untergeschlagenen Beinen im Sessel. Sie trug einen betagten Trainingsanzug, ein Relikt aus Marys sportlichen Tagen. Die Zeitschrift, die sie las, rutschte mit flatternden Hochglanzseiten zu Boden, als sie eine Hand hob, um sich das Haar hinters Ohr zu schieben. Das Lächeln, mit dem sie Mary bedachte, war artig, bemüht, ein Reflex, der nicht bis zu den Augen kam. Ein Versuch, immerhin. Mary war auch hierfür schon dankbar; sie verspürte einen so heftigen Beschützerdrang, daß sie am liebsten die Türen verbarrikadiert hätte. Jeder Gefühlsausdruck, jedes noch so kleine Zugeständnis ans Leben war dem katatonischen Zustand vorzuziehen, in dem sich ihre Schwester befunden hatte, als sie sie zuerst die Treppe heraufgeführt hatte. Katherine blinzelte zum sonnigen Fenster hin, das plötzlich vom stürmischen Herbstwind gerüttelt wurde. Besorgnis erschien auf ihrem Gesicht, und Mary bekam Angst.
    »Was hast du, Kath?«
    »Die Gardinen sehen furchtbar aus, die Säume sind ganz ausge-franst! Kann keine sehr gute Stoffqualität gewesen sein.«
    »Oder keine saubere Arbeit«, bemerkte Mary trocken. »Du hast sie genäht. Weißt du noch?«
    »Habe ich das? Ach, ja. Liberty-Baumwolle. Sonderposten. Du mochtest sie nie, du wolltest lieber Jalousien haben.«
    »Mir gefallen sie gut«, beteuerte Mary, stieg auf einen Hocker am Fenster und zog die Gardinen von der
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