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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer
Autoren: Frances Fyfield
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Kricket geschaut haben und Mr. Harry mir alles erklärt hat. Wußtest du eigentlich, daß ein Kricketball dir den Kopf einschlagen kann, Ma-ma?«
    »Der Mann, Schätzchen…«, erinnerte ich ihn und sammelte meine Scrabble-Steine ein.
    »Ach so, ja. Wir haben ihn weggejagt, Mr. Harry und ich. Er war schon oben, und da hat Mr. Harry ihn rumgehen gehört, und dann haben wir ihn verjagt. Ich hatte gar keine Angst, weil ich hatte ihn schon mal gesehen. Mit dir zusammen, aus dem Fenster, ein andermal.« Er flüsterte jetzt. »Mr. Harry hat gedacht, er hat vielleicht was mitgenommen. Er hat sich Sorgen gemacht, aber der Mann hat ja nichts gemacht. Sammy hat gesagt, als er wiederkam, wollte er ins Haus rein.«
    Ich kann mich über dergleichen einfach nicht mehr so erregen. Frü-
    her hätte mich der Vorfall empört, hätte er vielleicht auch jetzt, wenn ich mich für ordentliche Haushaltsführung und nicht, wie im Moment, vorrangig für die Allendales interessiert hätte. Schließlich habe ich immer gewußt, daß Mrs. Harrisons Wahrheitsliebe Abstufungen kennt. Jetzt fiel der Erinnerungsgroschen mit Hilfe des ständig vor Augen schwebenden Bildes von Katherine mit ihrem Goldkollier.
    Ein mir verschwiegener Eindringling in diesem Haus, am selben oder um den Tag herum, an dem diese verdammte Halskette sich selbständig gemacht hatte. Arme Katherine, vielleicht habe ich dir auch in anderer Hinsicht Unrecht getan!
    »Der Papa kommt bald wieder«, sagte ich. Es ging mir glatt von den Lippen – schön, das sagen zu können. »Dann will ich nach nebenan gehen und sehen, ob Jeanetta inzwischen wieder da ist. Vielleicht mag sie herüberkommen und mit dir spielen.« (Während ich meinen Frieden mit der Mutter machte, das sagte ich nicht.) Mark wurde gleich munterer.

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    »Du könntest doch gleich jetzt gehen«, schlug er hilfreich vor. In den Augen eines beinahe Achtjährigen ist die Gesellschaft Erwachsener einfach nicht mit der eines anderen Kindes zu vergleichen, und sei es auch um einiges jünger. Ich lachte.
    »Also gut. Mr. Harrison kann dir solange Gesellschaft leisten.
    Mach keine Dummheiten.«
    »Ich kann mich doch gar nicht rühren«, seufzte er.
    Mir ging es nicht viel anders; jedenfalls kam ich nicht recht vom Fleck. Immer schon habe ich nur äußerst ungern die heiligen Hallen nebenan betreten. Weil ihre Perfektion mich beschämt und weil ich auf Beschämung von jeher mit verbiestertem Groll reagiert habe. Ob bei Tage oder am Abend, ich mag dieses ach so bewundernswerte Haus nicht. Daher mußte ich, ehe ich aus dem eigenen trat, erst einmal Lippenstift auftragen und mir die Haare kämmen – das hilft manchmal. Nicht immer, und heute blieb die erwünschte Stärkung des Selbstwertgefühls aus. So hübsch und sonnig die Straße an dem Tag, herrlich jetzt bei diesem Altweibersommerwetter, mit einem Kranz letzter Strahlen der vergehenden Jahreszeit und den Bäumen, deren herabrieselnde Blätter die ersten Vorboten der kommenden Dunkelheit sind. Mark sagt, er kann eigentlich nie so recht glauben, daß es wieder dunkel wird; warum sollte es? Ich bin geneigt, ihm recht zu geben. Ich hatte nicht die geringste Lust, bei meinen Nachbarn zu klopfen, und selbst als ich fest entschlossen auf die Straße trat, bummelte ich doch wie eine Touristin. Als ich die wenigen Steinstufen nebenan hochstieg, legte ich mir ein paar Floskeln zurecht – Dank für die Einladung von neulich – und merkte erst, als mein Finger bereits auf dem Klingelknopf lag, daß die Tür nur angelehnt war. Hervorragend, dann ließe sich das Eis mühelos brechen, indem ich mit einem Scherz über herumstreunende Obdachlose vor-sprach – es halte sich ein neuer in der Nachbarschaft auf, sie sollten besser achtgeben. Trotzdem ein gewisses Dilemma mit der geöffneten Tür: Einfach hereinschneien kann man nur bei Leuten, mit denen man sehr vertraut ist, ansonsten bleibt einem nichts anderes übrig als herumzustehen oder zu rufen. Ich versuchte mich soeben zu entscheiden, als sich das erübrigte.

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    Schreie, Schreie, noch mehr Schreie, wieder und wieder ertönten sie aus den Tiefen des Gemäuers, sausten aus dem schwarzen Loch der Diele ums Türblatt und bohrten sich wie scharfe Nadeln in meine Ohren. Katherines Schreie dachte ich – hörte ich doch seit beinahe vierundzwanzig Stunden den Widerhall ihrer Schreie in meiner Phantasie, wand mich unter den Echos, die nicht aufhören wollten, die mich von neuem lähmten. Schreie kann man nicht deuten, man kann auf
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