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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer
Autoren: Frances Fyfield
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Katherine sträubte sich gegen jede Art Nahrungsaufnahme, ließ sich aber überreden, kleine Häppchen solchen Naschwerks zu sich zu nehmen wie Kekse, Biskuitkuchen, Müsli – pure Kohlenhydrate, nichts Raffinierteres als Eier und Ched-darkäse, nichts, was das Erhitzen einer Pfanne oder Bratendunst verlangt hätte. Käse zu Kräckern, die Eier weichgekocht, Suppe aus der Dose. Jetzt standen derlei Happen für Sophie bereit, die am Nachmittag käme, Entlastung und Prüfstein zugleich. Sie brächte ihre Mieze in einem Spezialkorb mit, trüge eine Flasche Milch bei sich und wüßte nur von den Fährnissen des Weges von der eigenen bis zu dieser Wohnung zu erzählen. Sophie, die das große Glück hatte, kaum etwas von alldem klar mitzubekommen, war in gewisser Weise sogar eine komische Gestalt. Ha, ha, viel zu lachen gab es ja sonst nicht; Marys Humor war immer schon eher von der schwarzen Sorte gewesen. Selbst den Besuch Mrs. Harrisons, die Katherine einen Teil ihrer Garderobe vorbeigebracht hatte, hatten sie überstanden. O Gott, was war die menschliche Güte unberechenbar – ebenso wie die Grausamkeit. Warum hatte sie das nie gewußt?
    Katherine saß und nähte, bannte die qualvollen Gedanken in der äußersten Konzentration der Nadelstiche, hielt inne, um sich im Zimmer umzusehen. Spartanisch weiße Wände, grauenhafte Möbel, nichts, wie es gewesen war, die Sinne beleidigend. Die Art anstalt-
    ähnliches Zimmer, wie es jetzt wieder gleichbedeutend war mit Sicherheit, nichtssagend, ausgestattet mit nur Durchschnittlichem, mit Sonderangeboten, lieblos, gedankenlos erstanden. Sie sah auf den billigen Baumwollstoff der schäbigen Gardinen herab. Vom Rest hatte sie Kissen genäht, meinte sie sich erinnern zu können, hübsch.
    Wie die Kissen, die man sich als kleines Mädchen von sechs Jahren vorn unter den Kittel stopfte, wenn man so tat, als bekäme man ein Kind. Das waren noch Zeiten gewesen. Aus nichts wird etwas. Dies waren die Zeiten danach. Im Zimmer war es sehr warm. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie erhob sich unwillig und öffnete das Fenster, das die verfrorene Mary lieber geschlossen hielt. Die Wohnung ging hinten auf einen Garten hinaus, links davon verlief die Straße. Am Ende der Straße lag eine Schule, und in der Ferne er-361
    klangen jetzt frisch entfesselte Kinderstimmen. Gekreische, Getrappel, Gejohle und Gespött, ein fernes Grummeln. Katherine schloß das Fenster, kehrte steif wie ein mechanisches Spielzeug in ihren Sessel zurück, sackte mit geschlossenen Augen und hämmerndem Puls darin zusammen.
    Aus nichts wird etwas, aus etwas wird nichts.
    Sophie trippelte auf Zehenspitzen herein, noch im Mantel, die Augen in freudiger Erwartung der Geselligkeit und des Tees leuchtend.
    Als sie Katherines maskenhaftes Gesicht sah, die geschlossenen Augen, setzte sie ihr vorsichtig die Katze in den Schoß und trat dann zufrieden nickend zurück. Wenn sie auch sonst nicht viel begriff, sie wußte, wie Katzen auf Menschenherzen wirken. Sieh nur: Mieze miaute aus Protest, dann aber machte sie es sich an diesem neuen warmen Ort einfach bequem, und Katherines Finger machten sich selbständig und strichen über das getigerte Fell. Die Katze begann zu schnurren, die Kinderstimmen von der Straße verebbten im Kopf.
    »Also, du lebst noch«, sagte Sophie überlaut. »Aha, Gardinen.«
    »Nein«, antwortete Katherine und knetete sanft den Nacken des Tiers auf ihrem Schoß. »Noch lebe ich.«
    »Was Neues?« fragte Sophie schrill.
    »Nein.«
    »Oje. Oje, oje. Na ja, aber es heißt doch, keine Nachricht ist eine gute Nachricht.«
    Lange, schmale Finger hielten inne, verkrampften sich. »Warum hast du mich nie gewarnt, Oma? Davor, wie er ist?«
    Sophie bewegte sich unruhig. »Er hat doch nur getan, was man uns getan hat, meine Liebe. Ich konnte es doch nicht wissen. Laß uns jetzt nicht darüber sprechen.«
    Mary brachte ein Tablett mit Tee, nicht allzu stark. Sie würden ihn mit viel Zucker süßen.
    »Man hofft, solange man lebt«, zitierte Sophie und nahm die Katze wieder an sich. Katherines Bewegungen wurden jetzt lebhafter, sie griff wieder zum Gardinenstoff.
    »Ich kannte mal eine Frau«, erzählte Sophie, »die hat sich ihren Lebensunterhalt damit verdient, mit Gardinennähen.« Zum erstenmal, seitdem sie zu ihrem gemeinsamen Leben zurückgekehrt waren, 362
    sah Mary einen Ausdruck von Entschlossenheit auf dem blassen Gesicht ihrer Schwester.
    »Tja«, murmelte Katherine, »vor dir sitzt möglicherweise
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