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Im Kinderzimmer

Im Kinderzimmer

Titel: Im Kinderzimmer
Autoren: Frances Fyfield
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Schiene. »Also besser sie ge-fälligst aus, ja?«
    »Gut, mach ich.«
    Das war doch ein kleiner Sieg! Die kleine Schwester wurde mit einem Nähkasten versehen und kramte darin, als sei ihr der Kasten nicht völlig fremd. Alles ging in Zeitlupe vor sich, mit den übertrieben bedächtigen Bewegungen einer Betrunkenen wurden Nadel und 358
    Garn von der falschen Farbe herausgefischt, wurde der Faden mit unendlicher Mühe durchs Öhr geschoben, wurde die erste Gardine gegriffen, der Saum umgeschlagen und mit großen, ungeschickt hef-tenden Stichen umgenäht. Egal, dachte Mary, ist egal, wie’s aussieht.
    »Ich habe einmal eine ganze Tagesdecke genäht«, sagte Katherine unvermittelt.
    »Stimmt. Möchtest du etwas essen, Kath? Wir haben gar nichts zu Mittag gegessen.« Sie beachtete den Schauder nicht, der der Schwester durch sämtliche Glieder fuhr, das blasse Gesicht war womöglich noch blasser, als sie kopfschüttelnd verneinte. »Na, komm«, drängte Mary sanft, »nichts Besonderes. Toast oder so etwas. Ei und Reiterchen. Du weißt doch, daß es bei meinen Kochkünsten nicht zu viel mehr reicht.«
    »Ungesund«, betete Katherine automatisch herunter, »so viel Cho-lesterin. Vielleicht ein bißchen Toast, wenn du wirklich was machst.«
    »Und Tee mit viel Milch?«
    »Bitte.« Die Bewegungen ihrer Hände wurden jetzt sicherer, die Riesenstiche schrumpften und wurden exakter. Gott sei Dank. Noch kein Boden unter den Füßen, dachte Mary, aber Land in Sicht. Sie setzte sich aufs Bett, wollte den Schlafanzug zusammenlegen, den Katherine einen Großteil des Tages trug: gestreiftes Flanell. Abgelegtes Nachtzeug von Mary, die nichts wegwerfen konnte, ausgegra-ben und auf Katherines Beharren hin trotz Unbehagen getragen. Katherine merkte, daß ihre Schwester den Schlafanzug betrachtete und dann wegsah.
    »Ich weiß, daß ich darin wie eine Strafgefangene aussehe«, sagte sie gelassen und biß den Faden ab. »Fehlen nur die kleinen Pfeile darauf. Keine Sorge, ich werde bald sein, wonach ich aussehe, wenn ich ihn trage. Strafgefangene.«
    »Ach, Kath, hör auf damit. Der Anwalt hat gesagt, na ja, daß er bezweifelt…«
    »Ich weiß, was er gesagt hat. Ich habe Ohren, weißt du.« Das ohne jeden Vorwurf. »Er hat gesagt, es käme auf die Anklage an, und was immer geschieht, man würde nicht immer eingesperrt. Käme natürlich auch darauf an, was Er sagt.« Es gab Namen, die sie beide nicht 359
    in den Mund nehmen konnten, selbst Mary nicht, bei allem neu ent-deckten Mut und ihrer zaghaften, unkritischen, schuldbewußten Fürsorge. Es hatte eine Tochter gegeben und einen Vater, jetzt nicht mehr mit Namen zu beschreiben, obwohl ihre Gesichter in Gedanken immer wieder auftauchten. Verzerrte, aufgedunsene, vergiftete, hungrige Gesichter, die Katherine mitten in der Nacht neben der gleich ihr aufgewachten Mary aufschreien ließen. Dann nahmen sie sich in den Arm, auf eine Weise, wie sie es nie zuvor getan hatten, umklammerten sich wie Kinder in großer Angst.
    »Ich liebe dich, Kath, komm, lehn dich bei mir an, ich will es besser machen« – ungeachtet des Ausbleibens einer Antwort, jedes Wort ihr voller Ernst. Man wurde bescheiden, wenn man erleben mußte, daß man von jemandem, den man zu kennen geglaubt hatte, in Wahrheit nichts gewußt hatte, gar nichts.
    »Na, dann will ich mich mal um diesen Toast kümmern.« Mary raffte sich auf.
    »Wenn sie mich doch einsperren«, fuhr Katherine fort, fest entschlossen, den Abbruch des Themas nicht zuzulassen, das Mary so gerne umgehen wollte, »macht mir das nichts aus, weißt du, und du darfst dich auch nicht grämen. Es käme mir vor, als würde ich eine Schuld abtragen.«
    »Man kann keine Schuld abtragen. Und um Bestrafung kann es nicht gehen. Wir wissen ja noch nicht, ob Jeanetta…«
    »Sie werden meinen Kopf verlangen«, stellte Katherine nüchtern fest. »Ich weiß doch, was die Leute denken. Ich lese doch diese Zeitschriften. Ich lese auch manchmal deine Zeitung. Es muß bestraft werden.«
    »Du willst doch damit nicht etwa sagen, daß du dich nicht einmal zur Wehr setzen willst?«
    »Nein«, sagte Katherine, widmete sich wieder der Gardine, setzte ihre Stiche schneller, »nein, das will ich damit nicht sagen.«
    »Wie konntest du, Kath, wie konntest du ihn das tun lassen?« brach es aus Mary hervor.
    »Ich wollte zurück«, sagte Katherine, »ich wollte wieder Kind sein.«

    360
    Mary verließ den Raum, irgendwie getröstet. Sie ging in die Küche, um etwas zu essen zuzubereiten.
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