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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter
Autoren: Stanislaw Lem
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Sekundenbruchteil durchführt.
    Parallelcomputer
    Man hat aber schnell erkannt, daß auch parallel prozessierende Computer gebaut werden können, obwohl deren Programmierung und Arbeitsreihe eine Reihe sehr schwierig zu lösende Probleme mit sich bringen. Einen Beweis, daß solche Computer konstruierbar sind, tragen wir in unserem eigenen Schädel: das Gehirn ist nämlich dank seiner Bauweise hauptsächlich, obwohl nicht ausschließlich, das eigentliche Gegenstück eines Parallelcomputers. Es besteht aus zwei großen Hemisphären, in denen auch eine für den Menschen als den Konstrukteur sehr merkwürdige Strategie der Allokation von untergeordneten Arealen herrscht.
    Für Neurophysiologen war das ein echtes Chaos, das ausschließlich aus Rätseln bestand. Die Forscher konnten zwar Symptome des Ausfalls von einzelnen Funktionen, z.B. bei der Aphasie, Amnesie, Alexie etc., feststellen, aber sie konnten deren Funktionsweise kausal und funktionell nicht erklären. Im übrigen begreifen wir, wie es sich gehört, immer noch nicht sehr viel von diesen und anderen Erscheinungen in unserem Gehirn. Das Gehirn kann Informationen mit einer Geschwindigkeit von 0,1 bis 1 Bit pro Sekunde aufnehmen, wogegen heutzutage auf uns ein Fluß von neuen Informationen mit einer Geschwindigkeit einströmt, die zwischen drei und zwanzig Bits pro Sekunde liegt.
    Informationsschwemme
    Die Gesamtheit des menschlichen Wissens verdoppelt sich ungefähr alle fünf Jahre, wobei sich diese Verdoppelungszeit ständig verkleinert. An der Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert betrug diese Rate noch ungefähr 50 Jahre. Jeden Tag werden auf der Welt 7000 Artikel veröffentlicht und über 300 Millionen Zeitschriften sowie 250.000 Bücher gedruckt. Auf der anderen Seite gibt es bereits über 640 Millionen Radio- und Fernsehgeräte. Da diese Angaben schon vier Jahre alt sind, sind sie sicherlich zu niedrig angesetzt, vor allem wegen der gewaltigen Zunahme des Wissens im Bereich des Satellitenfernsehens.
    Die Menge der bislang gespeicherten Information soll 10 hoch 14 Bit betragen und wird sich bis zum Jahr 2000 verdoppelt haben. Sicherlich ist die Informationsaufnahmefähigkeit des Gehirns bereits erschöpft. Außerhalb der Wissenschaft kann man die Symptome dieser Informationsasthenie viel leichter als in der Wissenschaft selbst bemerken, zumal wenn wir ihren Bereich auf die exakten Wissenschaften beschränken. Sie sind von einem “Halo” in Gestalt von Pseudo- und Quasiwissenschaften umgeben, die sich überall einer beträchtlichen Popularität erfreuen. In der Regel handelt es sich zwar um wertloses und falsches “Wissen” (Astrologie, Kurpfuscherei, sektiererische Absonderlichkeiten vom Typ “Christian Science” und alle “Psychotroniken”, wie Telepathie, Telekinese, “geheime Wissen”, Nachrichten über die “fliegenden Untertassen” oder über die “Geheimnisse der Pyramiden” etc.), das aber angenehm einfach ist und durch Versprechungen fasziniert, das menschliche Schicksal, den Sinn des Seins etc. pp. zu klären.
    Ich beschränke mich hier jedoch nicht auf den Bereich der exakten Wissenschaften, der übrigens schon lange von trüben Fälschungen überschwemmt wird, die nicht nur schädlich sind, sondern auch den gesellschaftlichen Stellenwert der Wissenschaft in Frage stellen. Betrug geschieht immer öfter in der Wissenschaft, und er wird durch die immer noch geltende Regel publish or perish gefördert. Viele Faktoren wirken also an der Verstärkung der Informationsüberschwemmung zusammen. Dagegen
    unterliegt die oben erwähnte unwissenschaftliche Sphäre informativen Selbstbegrenzungen, die ein über eine Satellitenschüssel verfügender Zuschauer leicht bemerken kann:    in    Hinsicht auf den Inhalt
    unterscheiden sich fast alle Sender weltweit nur sehr wenig voneinander, was einfach bedeutet, daß sich Programme der weit entfernten Staaten, Länder und Sprachgebiete inhaltlich fast gleich sind.
    Dem überdrüssigen Publikum geht es nicht um eine bewußte “Abspeckung des Fernsehmenüs” oder um die Schaffung eines Plagiats, es will einfach lieber die Variante der bekannten Sujets sehen, weswegen es immer neue Versionen von irgendwelchen Tarzans oder von den Drei Musketieren, in den USA von Kämpfen mit den Indianern oder dem Sezessionskrieg, in Europa hingegen vom letzten Weltkrieg gibt. Die Informationsallergie im visuellen Bereich ist besonders auffallend. Man fürchtet bei den Sendern die Innovation mehr als das Feuer,
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