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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter
Autoren: Stanislaw Lem
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angesichts dieser Flut von Wissen und dieser Größen der Weisheit, die durch ganze Brigaden von Computern, durch den Zugang zur gesamten Weltliteratur und durch die Freiheit der Teilnahme an allen wissenschaftlichen Konferenzen und Kongressen unterstützt wurden, mich wohl nicht zu schreiben gewagt. Kann man sich vorstellen, daß ich alleine, fast auf dem Land, am südlichen Stadtrand von Krakau lebend, mit meinen Voraussagen mit solchen Experten hätte in Konkurrenz treten sollen, die wie Herman Kahn oder Alvin Toffler einen Bestseller nach dem anderen auf den Buchmarkt lancierten?
    Zu meinem    Glück hatte    ich keinen    blassen
    Schimmer von ihnen noch von    ihrem Ruhm,    den sie
    genossen. Die Isolation kann also auch förderlich sein. Damals sind    ganze Scharen von Futurologen
    entstanden, und als ich endlich ( nach irgendeiner Ausgabe der     Summa ) die    aus dem    Westen
    kommenden Bände in die Hand bekam, konnte ich genaue Diagramme sehen (Herman Kahn sagte im Hinblick auf das Wachstum des Nationaleinkommens der DDR, also den Ostdeutschen, den zweiten Platz in Europa, gleich hinter der Bundesrepublik Deutschland, vorher). Doch wenn ich mir diese Statistiken und Extrapolationen anschaute, habe ich sehr wohl den Vorteil meiner Einsamkeit begriffen.
    Nachdem die Sowjetunion in kürzester Zeit zerfallen ist und die DDR aufhörte zu existieren, verschwand Futurologie aus den Schaufenstern der Buchhandlungen. Stattdessen erschienen neue Artikel und Bücher, die nicht davon handelten, was es irgendwann geben wird, sondern die darüber berichteten, was es hier und jetzt gibt und was sich bereits jetzt entwickelt.
    III - Was ich nicht vorhergesehen habe
    Was war geschehen? Es vollzog sich eine allgemeine Zuwendung zur Biologie, zur Biotechnologie, zur
    Erforschung des biologischen Erbes des Menschen und der für unterschiedlichste Merkmale und Erkrankungen verantwortlichen Gene. Mächtige Firmen wie Genetech und viele andere, deren Namen ich nicht mehr weiß, begannen zu entstehen. Man fing an, verschiedene neue Bakterien zu patentieren und in die chemosynthetische Produktion einzuspannen. Ich war von all dem sehr überrascht, weil ich in einer Überzeugung schrieb, die der Gewißheit gleichkam, daß ich nichts von der Verwirklichung meiner Prognosen erleben werde, daß das, worüber ich schreibe, höchstens irgendwann im dritten, vielleicht erst im vierten Jahrtausend entstehen wird. Aber es kam alles anders. Ich kann mit der Lektüre über neue Erkenntnissen der Biotechnik nicht mehr zu einem Ende kommen, doch die neue Terminologie ist selbstverständlich völlig anders, als die, die ich mir wie ein Robinson Crusoe in meiner Summa ausgedacht hatte.
    Beispielsweise gibt es bereits meine “Phantomologie” und “Phantomatik”, aber sie heißt Virtuelle Realität . Immer mehr solche neue Bezeichnungen entstehen jede Woche. Man kann die allgemeine Entwicklungsrichtung vorausahnen, dafür habe ich bereits Beweise, aber die Namen für konkrete Produkte, Techniken oder Instrumente vorauszuahnen, wäre schon nicht mehr eine Prophezeiung, sondern ein Wunder. Ich glaube nicht an Wunder.
    Meine Ideen wurden, auch wenn nicht gänzlich, schon durch den immer stürmischer vorangetriebenen Fortschritt des theoretischen Wissens und seiner praktischer Umsetzung überholt. Ich kann hier natürlich nicht die gesamte Summa zusammenfassen, aber ich kann in einigen Worten den Hauptfaktor oder das Grundprinzip erklären, das meiner Meinung nach aus der von der natürlichen Evolution des Lebens
    übernommenen Technologie ein völlig neues Gebiet eröffnete, das    sich    grundlegend    von der
    Ingenieurspraxis,    dem    Know-how    und dem
    “hypothesenschaffenden”    Denken der    Menschen
    unterscheidet, wie    sie in    den letzten Jahrhunderten
    entstanden sind.
    Wir hatten immer mit der Werkzeugmaschine und mit dem, was bearbeitet wird, mit einem Instrument und mit dem Rohstoff, mit dem Meißel und mit dem Stein, mit einer Erfindung und den gebauten Prototypen und - im Bereich der höchsten Abstraktion
    -    mit den Hypothesen und Theorien zu tun, die wir den Falsifikationstests unterziehen. Diesen Test hat Popper als entscheidenden Faktor für die Legitimation von Theorien bezeichnet. Was dem Falsifikationstest überhaupt nicht unterzogen werden kann, ist aus der Sicht der wissenschaftlichen Wahrheit äußerst zweifelhaft. So gehen wir vor, seitdem der
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