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Im Informationszeitalter

Im Informationszeitalter

Titel: Im Informationszeitalter
Autoren: Stanislaw Lem
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handelte und was es bedeutete, malte ein Grafiker auf dem Umschlag eine Bühne, und auf dieser eine Leiter und zwei aufgegebene Halbschuhe. (Parallel schrieb ich auch SF, die bereits einen gewissen Erfolg hatte, aber vorläufig schweige ich über ihre Rolle in meiner “futurologischen Arbeit”). Mein Gedankengang war merkwürdig gespalten. Es kommt schon vor, daß sich jemand unabsichtlich verliebt, aber daß jemand unabsichtlich heiratet und dies gar nicht bemerkt, ist schon eine Seltenheit. Jetzt schreibt man also über mich, daß ich mich mit der Futurologie, die irgendwann in den Sechzigern aufkam und die Lesermärkte eroberte, überhaupt nicht beschäftigt habe. Ich habe aber bereits über die Zukunft zu schreiben begonnen, bevor diese Mode den Westen eroberte, und ich konnte vor allem nicht wissen, was im Westen geschah. Trotz der Störsender hörte ich “Free Europe”, aber bei diesem Sender gab es nichts über die Zukunft. Warum ich 1962 mit dem Schreiben meines opus magnum, mit der Summa technologiae begonnen habe, kann ich auch nicht sagen, weil ich es nicht weiß. Die kürzeste Erklärung lautet: Ich war einfach neugierig, überaus neugierig, was in der Zukunft passieren kann .
    Ich habe mich nicht mit der politischen Zukunft der Welt, nicht mit zukünftigen Krisen und auch nicht mit der Bevölkerungsexplosion beschäftigt, sondern vor allem mit den möglichen technischen Errungenschaften. Francis Bacon schrieb schon vor ein paar hundert Jahren, daß Maschinen entstehen werden, die auf dem Meeresgrund gehen und fliegen können. Weil ich nicht wußte, daß der Philosoph Karl Popper alle Voraussagen für “unmöglich” hielt, habe ich mich gerade an solche Voraussagen gemacht. Und weil ich keinen Zugang zu irgendwelchen Quellen der Futurologie hatte, mußte ich mir selbst ein Muster, einen Leitstern, irgendein Schlagwort für eine weit entfernte Zukunft ausdenken. Ich habe, wie die Deutschen sagen, aus einer Not eine Tugend gemacht. Ich wollte, um Gottes willen, nicht mehr wie im Gymnasium phantasieren, sondern ich sehnte mich nach einem sicheren Rückhalt , also nach etwas, das es bereits gibt und das die Menschen als Technologie irgendwann imstande sein werden zu übernehmen.
    Wenn man darüber nachdenkt, wird man sehen, wie einfach das war. Es gibt Pflanzen und Tiere, und auch wir existieren mit Sicherheit. Die ganze lebende Welt ist aus der natürlichen darwinistischen Evolution entstanden. Falls die Natur es konnte, dann werden auch wir, so war meine Hoffnung, imstande sein, sie als einen Lehrer zu betrachten. Wir werden beginnen, wie die Natur oder sogar besser als sie zu schaffen, weil wir dies zum eigenen Gebrauch machen. Meine ganze Mühe richtete ich beim Schreiben der Summa technologiae auf die Ausführlichkeit, also was sich daraus ergibt, falls man das erreichen sollte, und wie man “die Natur einholen und überholen kann”. Als ich schrieb, hörte man noch kaum etwas von einer Biotechnologie, von der Gentechnologie, von der Entdeckung der “menschlichen Vererbung” (Human Genome Project). Um mich herum herrschte der Marxismus-Leninismus, und ich verfügte ausschließlich über in Moskau herausgegebene Werke in russischer Sprache aus dem Bereich der exakten Wissenschaften wie der Astrophysik und der darwinistischen Biologie. Darwin hatten die Kommunisten ziemlich gern. Es gab auch, wie beispielsweise die Physik von Feynman, “gestohlene” Bücher, weil Moskau das beste übersetzte und den Autoren natürlich nichts zahlte. Aber über Prognosen durfte man kein Wort sagen.
    Ich hatte also große Schwierigkeiten mit der Terminologie. Sie glichen denen eines Menschen um 1800, dem es einfallen würde, über die Eisenbahn zu schreiben. Wie sollte man, da es sie nicht gab, dann die Kessel, Zylinder, Kolben, Sicherheitsbremsen und so weiter nennen? Ich mußte mir daher alles so ausdenken und benennen, wie Robinson Crusoe erst lernen mußte, wie man aus Ton einen Topf kneten und ihn glasieren kann. Ich war gewissermaßen ein Robinson der Futurologie und ich verdanke dieser Einsamkeit, dieser Isolation viel.
    Als die Summa herauskam, ist nicht einmal eine Rezension erschienen. Nur ein bekannter polnischer Philosoph schrieb, daß ich eine Utopie mit Information verwechselt habe und alles nur Märchen seien. Wenn ich nämlich erfahren hätte, daß im Westen schon Institute wie die Rand Corporation, das Hudson Institute oder die französische Futuribles Gruppe entstanden sind, hätte ich
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