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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
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Horror.
    »Ich mag deine Geschichten. Ich weiß nicht, ob ich alle gelesen habe,« beichtete er, »aber sie sind total lebensecht. Die Personen beschreibst du so, als gäbe es sie wirklich. Das gefällt mir, aber es ist auch ein wenig unheimlich.«
    »Oh, das sind Recherchen, Beobachtungen, wenn ich im Café sitze oder so etwas. Nichts weiter. Charakterisierungen liegen mir.« Ich lachte, freute mich über sein Lob. Zumindest gaukelte ich ihm das vor. In Wahrheit schmerzte es mich, denn die Personen waren echt. Es gab sie oder hatte sie gegeben. Waren sie es doch, die mir den Stoff für all die Geschichten lieferten. Aber das wusste nur ich. Und so sollte es auch bleiben.
    Stefan war besessen von meinen für ihn fiktiven Personen. Er redete und redete, und während ich ihm zuhörte, blitzte es in meinem Kopf auf, nur für einen Moment, wie immer, aber auch diesmal reichte es, um zu sehen, wer von der Hand des Teufels berührt werden sollte. Stefan. Er war nicht alleine. Doch das Gesicht der anderen Person blieb verborgen. Das war neu. Es war dunkel, nur ein helles Licht im Hintergrund.
    Ich hörte nur noch nebenbei die Worte, die Stefan über meine Bücher verlor. Plötzlich sagte er etwas, das mich aus meinen Gedanken riss und mich hellhörig werden ließ. Aber ich hatte es nicht richtig verstanden, deshalb fragte ich nach: »Entschuldige, was sagtest du gerade?«
    »Ich meinte, dass ich mich in einem deiner Romane wieder gefunden habe. Die Charakterisierung der Isabel, die ihren Mann aus Rache tötet, passt total auf mich.«
    Es blitzte nicht erneut in meinem Kopf auf, dafür stach die Erkenntnis der Wahrheit mit Wucht in mein Herz. Es schmerzte. Und die Angst, die Angst vor dem eigenen Tod, den ich eben noch herbeigesehnt hatte, ließ jetzt meinen Magen rebellieren.
    Er war Isabel? Er konnte nicht wissen, was ich sah! Das konnte er nicht, oder doch?
    »Vielleicht habe ich unterbewusst weitergesponnen, wie du später mal sein würdest. Das ist reiner Zufall.«
    Aber er glaubte mir nicht.
    »Woher wusstest du, dass ich mal verheiratet war? Das war mein letzter Versuch, eine Frau zu sein.«
    »Das wusste ich nicht!«
    Ich schickte einen Hilfe suchenden Blick zu meinen anderen Klassenkameraden, doch niemand schenkte uns Beachtung. Sie waren alle vertieft in ihrer eigenen Vergangenheit.
    »Du wusstest es. Woher?« Er lachte nicht mehr. Seine Augen funkelten böse. Stefanie hatte nicht nur ihre weiblichen Attribute abgelegt, auch die Ehrlichkeit und die Freundlichkeit schienen umgewandelt worden zu sein.
    Wie viele vermeintliche Täter hatten meine Bücher gelesen und sich wiedererkannt, fragte ich mich. Wie hatte ich so naiv sein können, die geplanten Verbrechen zu verändern, ohne entdeckt und selbst die Hauptperson einer Geschichte zu werden? Es war so lange gut gegangen! Jetzt nahm das Spiel eine Wendung.
    »Ich weiß nicht, was du meinst«, versuchte ich Stefan von meiner Unwissenheit zu überzeugen.
    Plötzlich lachte er laut auf. Ein Schauder jagte über meinen Rücken.
    »Reingefallen!«, sagte er.
    Als Kinder hatten wir oft Geschichten erfunden und sie dem Anderen angehängt, bis der nervös wurde und nicht mehr wusste, was wahr, was falsch war. Stefan hatte das Spiel wieder gespielt. Aber: War es wirklich nur das Spiel? Ich war mir nicht so sicher. Die Isabel, die ich beschrieben hatte, war nicht fiktiv gewesen, und sie hatte auch tatsächlich ihren Mann getötet. Das war ein Verbrechen gewesen, das ich nicht hatte verhindern können. Die Namen der Personen erfand ich, denn ich sah nur ihre Gesichter und das Verbrechen, dem sie zum Opfer fallen sollten oder das sie selbst begehen wollten. Sollte ich meine ehemals beste Freundin nicht erkannt haben?  
    Ich musste hier weg, musste mein eigenes Schicksal diesmal verändern. Die Person, die ich in meinen Gedanken gesehen hatte – die bei Stefan stand, die ohne Gesicht – musste ich selbst gewesen sein. Und sicherlich würde ich nicht der Täter sein.
    Ich stand auf. »Es war schön dich wiedergesehen zu haben, aber ich muss leider gehen. Hab' noch einen Roman zu Ende zu schreiben. Sonst liegt mir der Verlag in den Ohren.« Ich umarmte ihn so herzlich wie bei der Begrüßung, hoffte ich.
    Seine Augen funkelten unfreundlich, kein bisschen Menschlichkeit war darin. Nicht mehr.
    »Machs gut!«, sagte ich wehleidig, eilte auf die anderen Freunde zu, klopfte an das Ende des Tisches und verabschiedete mich rasch von allen. Manche schüttelten mir die Hand, andere
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