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Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer
Autoren: Nicole Rensmann
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zusammenhängen.
    Von Weitem erkannte ich den Grund meines Kommens: Das Wachsfigurenkabinett.
    Ein neues Schild leuchtete über dem Eingang, gestern erst hatte es Mr. Smith mit seinen Jungs installiert. Dabei waren einige Birnen durchgebrannt, und Ronald, der Lehrling, hatte sich die Finger verbrannt. Später hatten wir am Tresen direkt neben Robert E. Howard gestanden, uns zugeprostet, darüber gelacht und dem Ort die Schuld gegeben; nicht, ohne uns zuzuzwinkern, mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen.
    Als ich den verrosteten Schlüssel im Schloss herumdrehte, hieß es mich quietschend willkommen. Ich hatte keine Zeit gefunden ein neues Schloss einzubauen; außerdem passte das alte weitaus besser zu der, mit Eisenbeschlägen beschwerten, Holztür. Die Scharniere knarrten, als ich die Tür aufstieß und in die Eingangshalle trat. Perfekt!
    Ich tastete an der Wand hinab, zu dem tief sitzenden Lichtschalter vor. Wie in vielen Bauten aus der Jahrhundertwende, war auch das Kabinett mit elektrischem Licht nachgerüstet worden. Doch bei den Installationen musste ein Dilettant am Werk gewesen sein, der nicht nur billiges Material verarbeitet hatte, sondern durch dessen schwerwiegende Fehler ein Brand hätte entstehen können. Ich hatte sie auswechseln lassen müssen und keine Kosten gescheut.
    Die Steckdosen und Schalter saßen, aufgrund der eingebauten Stahlträger, knapp eine Handbreit über der Fußleiste, ich hätte sie umsetzen lassen können, aber ich wollte so wenig wie nötig an dem Haus verändern. Es sollte den Besuchern eine stimmige Atmosphäre vermitteln. Eine Weile hatte ich darüber nachgedacht, die Leitungen nicht auszuwechseln, sondern herausreißen zu lassen und den ursprünglichen Zustand des Hauses wieder herzustellen. Doch dann hätte ich konsequenterweise auch die Heizkörper entfernen müssen. Aber die Räume durften nicht auskühlen. Die durch die undichten Sprossenfenster herein kriechende Feuchtigkeit sollte sich nicht auf den Wänden niederlassen. Nur bei einer konstanten Temperatur von 18 Grad schmolzen die Wachsfiguren nicht und setzten auch keinen Grünspan an. Ob es ausreichte, die Wände trocken zu halten, sollte sich herausstellen. Noch roch es nicht schimmelig, sondern nach frischer Farbe und Wachs, mit dem der Dielenboden imprägniert worden war.
    Ich tastete im Dunkeln an der Wand entlang. Obwohl ich schon unzählige Male hier gewesen war, benötigte ich mehr als eine halbe Minute, bis ich den Drehschalter fand. Vermutlich wartete mein Unterbewusstsein auf eine Klaue, die mein Handgelenk umschloss und mich in die unendliche Düsternis zog. Ich kicherte. Und drehte. Das Licht flackerte auf.
    Drei zwölfarmige, schlichte Kronleuchter erhellte die Vorhalle. Simultan gingen die in den Wänden hinter Milchglas eingebauten Glühbirnen mit geringer Leistung an, die sich im gesamten Haus verteilt wiederfanden, sodass nicht ein einziger Raum dunkel blieb.
    Und da stand er, der Herr und Meister, die Hand zum Gruß erhoben. Zu Lebzeiten hatte er nie erfahren, dass er Nachkommen gezeugt hatte, die sein wahres Lebenswerk eines Tages entdecken und weiterführen sollten:
    Howard Philipps Lovecraft.
    Das längliche Gesicht hatte ich eindeutig von ihm, und weder meine Mutter noch mein Vater besaßen dieses markante Kinn. Glücklicherweise hatten mir die Gene eine kleinere Nase vermacht. Trotz meiner Verehrung – diesen Zinken hätte ich um keinen Preis haben wollen. Auch sonst besaß ich nicht viel Ähnlichkeit mit meinem Opa. Wir teilten das Interesse für Literatur, bizarre Ideen und den Hang zum Wahnsinn.
    Er wusste nicht, dass meine Oma – Sonia Greene – schwanger war, als er sich, obwohl er sie liebte, scheiden ließ. Sie selbst mochte ihn damit nicht konfrontieren. Howie, wie sie ihn in ihren Erzählungen liebevoll genannt hatte, wäre nicht stark genug gewesen, zwischen ihr und seiner Familie zu stehen. Sie erzog meinen Vater Stephen Greene allein, der am 22. September 1930 zur Welt kam.
    Er arbeitete später als Chirurg und lernte meine Mutter im Krankenhaus bei einem Schichtwechsel kennen. Beide hatten schon eine Ehe hinter sich. Gezeugt wurde ich während einer Nachtschicht im Ruheraum. Und so erblickte ich das Licht der Welt am 1. Oktober 1967 als Enkel des legendären H.P. Lovecraft. Meine Oma, mit der ich mehr Zeit verbrachte als mit meinen Eltern, erzählte viel über ihn. Doch ich verlangte mehr über den kränklichen, hochintelligenten Mann zu erfahren, mit dem ich in
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